Marchais wird weich

New York/Berlin (taz/AFP) — Der Ukas zur Korrektur der politischen Linie kam wieder einmal von oben: Georges Marchais, seit zwanzig Jahren Chef der französischen KommunistInnen, kündigte am Dienstag das Ende des demokratischen Zentralismus an. Er tat dies nicht etwa im Kreise seiner GenossInnen, sondern während seiner ersten Reise nach Amerika — bei einer Diskussion an der New Yorker Universität. Mit dem von ParteidissidentInnen seit langem geforderten Schritt, folgt Marchais mit einigen Jahren Verspätung dem Vorbild sämtlicher europäischer Spitzenkommunisten.

„Man kann keinen Sozialismus schaffen ohne mehr Demokratie auf allen Gebieten“, erkannte Marchais in New York. Jetzt sei das Ende des Demokratischen Zentralismus „eine absolute Notwendigkeit“. Schon der nächste Parteitag soll das System des demokratischen Zentralismus abschaffen, das bei der KPF bis zuletzt für 99-Prozent-Abstimmungen und die Unterordnung der Basis unter die Führung sorgte.

In Paris schlug die Nachricht wie eine Bombe ein: Jahrzehntelang war Marchais seinen Moskauer Lehrmeistern auf ein Wort gefolgt, während er daheim den GenossInnen strikte Parteidisziplin abverlangte und sämtliche Reformversuche abwürgte. Auch als Gorbatschow stürzte und die KPdSU verschwand, blieb die KPF der alten Linie treu.

Innerparteilich ist der amerikanische Alleingang des 72jährigen Parteichefs auf Kritik gestoßen. Dissident Jack Ralite nannte ihn „unpassend und ungehörig“. Marchais habe damit gerade eben die Methode des demokratischen Zentralismus angewandt. dora