Nationalhymne, Knarre & HSV

■ Mit Begeisterung fürs Deutschlandlied bringen Kids von heute Eltern zur Verzweiflung

Eltern zur Verzweiflung

Atomkraftwerke findet er bescheuert, seit er als Vierjähriger wg. Tschernobyl nicht raus durfte, Autos haßt er, seit ihn eines fast getötet hätte und dank seiner zuckerfreien Kinderteezeit ist er auch leidlich resistent gegen Coca Cola. Soweit schien also alles in Ordnung.

Doch dann kam, ich glaube, es war 1989, jenes großartige Spiel des FCSt.Pauli im Volksparkstadion, der dem übermächtigen HSV ein 1:1 abtrotzte und sogar fast gewonnen hätte. Neben uns auf der Bühne ein häßliches Bierbauch-Paar in den späten 50ern, das für den HSV gröhlte, während die 20jährige Punk-Tochter, sympathisch, natürlich wie wir die braun-weißen Underdogs anfeuerte. Wir? Nein, Sohnemann Sebastian, damals 7, hielt eisern zu den korrupten Volksparkmillionären. Das 1:1 rettete den Familienfrieden. Ein erster leiser Riß schlich sich damals in mein Weltbild.

Ein regelrechter Schock dann im Sommer 1990. Plötzlich schmettert es jung und froh aus dem Kinderzimmer: „Einigkeit und Recht und Freiheit ...“. „Weißt Du, Papa“, verkündet mir Sebastian wenig später glücklich-bewegt, „die deutsche Nationalhymne ist mein Lieblingslied.“ Es blieb nicht dabei. Oft nur mit Mühe konnte ich ihn bremsen, wenn er in der U-Bahn sein Lieblingslied türkischen Müttern ins Ohr prustete. Mein Gott, es war ja nicht nur das — es war mir einfach furchtbar peinlich.

Dann das Ding mit der „Waffenkiste“. Maschinengewehre, Laserwerfer und schließlich, vom ersparten Taschengeld, Plastikarmeen, wobei am Schluß immer die deutsche Fahne siegreich zwischen Leichenbergen von Russen und Engländern flattert. Nein, die 3. Strophe singt er (noch?) nicht dabei. Mein Ersatzdrogen-Einsatz mit Lucky Luke und Prinz Eisenherz half nur wenig weiter. Turtles und Ninijas stehen doch höher im Kurs.

Ach ja, die Bullen. Also, Polizisten findet er prima. Uneingeschränkt. Ob es bloß die beiden Schlüsselerlebnisse waren, als ihn einst ein Polizist auf dem Dom auflas, als er sich von seiner Kindergruppe verirrt hatte, und später der so überaus nette Verkehrspolizist im schulischen Verkehrsunterricht? Egal: Ami-Polizeiautos, die Verbrecher jagen, sind der Standard bei den Autospielen. Dabei war ich als Kind doch immer Outlaw, Rächer etc. gegen das Establishment?!

Mit der Nationalhymne ist es nicht besser geworden. Im Gegenteil. Jetzt legt er schon immer die Hand auf die linke Brustseite, dort, wo das Herz schlägt, wenn das Lied der Lieder ertönt. Richtiggehend sauer war er, als die Katalanen, Kommerz sei Dank, die Nationalhymnen bei der Olympiade zu Kurzfassungen verstümmelten. „Einigkeit und Recht und Freiheit sind des Glückes Unterpfand, danach laßt uns alle streben, brüderlich in Hand und Hand“, so schimpfte er empört, das seien doch „so schöne Sätze, die darf man doch nicht abschneiden!“ (Ich schweige da nur noch. Carl Valerie)