Bipolare Stimmung

■ L'art de passage kommen in die Parochialkirche

Ja, auch uns hat sie schon erwischt, jene scheinbar konträre Gefühlsmischung aus melancholischer Trägheit und berstender Lust am sommerlichen Leben. Eine Laune, die einen überall heimsuchen kann.

Zum Beispiel in Pariser Cafés, die am Morgen eben erst ihre Stühle auf die Straße gestellt haben. Es handelt sich um eine kaum fixierbare Gemütslage, die auch in der Musik von L'art de passage drinhängt und ihre luftigen Instrumentals wie ein roter Faden durchzieht; eine sozusagen bipolare Stimmung, die sich im sanft schunkelnden Wellenrhythmus äußert, der romantisch ans Ufer treibt, dann wieder plötzlich in Form von quirligen Melodieläufen aufspringt und die Tonleitern auf und ab hastet. Eine Spannung schließlich, die Gemütlichkeit zuläßt und gleichzeitig bei der Stange hält.

Mit dem Akkordeon als Leitinstrument führt Tobias Morgenstern samt seinen vier Mitmusikanten durch einen musikalischen Reigen voll frankophiler Lässigkeit, ohne dabei in die anbiedernde Haltung eines Reiseführers zu verfallen.

Im Gegenteil, die Exkursionen von L'art de passage bleiben undogmatisch und gestatten dem Hörer verzweigte Freiräume für eigene Entdeckungen. Eine zentrale Rolle in den größtenteils akustisch instrumentierten Folklorestückchen spielt sicherlich der Tango, und zwar nicht nur unter rein musikalischen Gesichtspunkten. Es ist vielmehr das befreite Lebensgefühl und das stolze Selbstbewußtsein, das aus allen Liedern strahlt — selbst wenn sich die Gruppe in dezenter Jazz-Phrasierung versucht oder allerlei klappernde Percussion pseudoethnischer Prägung einsetzt.

Klar, solche Musik würde wohl am besten in das Freiluft-Ambiente südländischer Straßencafés passen. Doch auch die Parochialkirche (die für zeitgenössische E-Musik ebenso offensteht wie für diverse Ethno- Spielarten) kann schon mal einen trefflichen Auftrittsrahmen stellen. Und überhaupt: von der ernsthaft- pietätvollen Kirchenatmosphäre wird bestimmt nicht mehr viel übrigbleiben, wenn die Passagenkünstler beschwingtes und frisch importiertes Chanson-Flair in die heiligen Hallen pusten. Es gibt eben solche Stimmungen. Peter Bickel

Heute um 20.30 Uhr in der Parochialkirche, Klosterstraße 67, Mitte. Der U-Bahnhof Klosterstraße ist voraussichtlich noch bis Oktober geschlossen.