Allergie aus dem Staubsaugerbeutel

■ Hausstaub-Allergiker werden mit undefinierbaren Mischungen traktiert, die die Arznei-Hersteller aus gewöhnlichen Staubsaugerbeuteln gewinnen/ Eine rechtliche Zulassung gibt es für diese Mittel nicht

Der Leidensweg des Volker Lenz begann, als er neun Jahre alt war. Der Hausarzt teilte den Eltern mit, daß das Kind an einer Hausstauballergie leide. Davon hatten die Eltern zwar noch nichts bemerkt. Doch sie wußten, daß Allergien sich im Laufe der Zeit verschlimmern und zu Asthma führen können. Deshalb willigten sie in die Therapie ein, die der Arzt vorschlug. Volker sollte hyposensibilisiert werden.

Das Prinzip ist einfach: Dem Allergiker wird »sein« Allergen in verdünnter Form und in langsam steigenden Dosen zugeführt, um den Körper daran zu gewöhnen. Bei Pollen- und Hausstauballergikern liegen die Erfolgsquoten dieser Therapie zwischen 60 und 90 Prozent.

Volker Lenz bekam vier Jahre lang »seine« Spritze. Die Eltern erinnern sich, daß er nach der Injektion immer unruhig wirkte, nachts unter Schweißausbrüchen litt und Asthmaanfälle bekam. Als Volker einen sogenannten anaphylaktischen Schock erlitt, innerhalb von Sekunden an Gesicht und Gliedmaßen anschwoll und mit Schüttelfrost zusammenbrach, beendeten die Eltern die Therapie.

Doch sie wollten wissen, was los ist. Auf Nachfrage erfuhren sie von Herstellern und Behörden Haaresträubendes: Die Lösung, die man Volker jahrelang unter die Haut gespritzt hatte, wurde und wird heute noch aus dem Inhalt von Staubsaugerbeuteln »gewonnen«. Grundlage der mysteriösen Mixtur bilden demnach Essensreste, Hausstaubmilben, Tierhaare, Schimmelpilze und Rußpartikel. Aber auch Schwermetalle, Pestizide und PCP landen, so Öko- Test-Berater Dr. Dieter Wundram, in der Therapielösung. Die Hyposensibilisierungs-Impfstoffe werden zudem mit dem Nervengift Phenol konserviert. In einer Konzentration die, nach Aussage von Dr. Wundram, »ausreichen würde, um Gossenwasser steril zu machen«.

Professor Günther Forck vom Ärzteverband Deutscher Allergologen stellt fest, daß »die Hyposensibilisierung mit Hausstaub ein Kunstfehler ist«. Sie könne unter Umständen sogar eine zweite Allergie auslösen.

Trotzdem ist die Herstellung solch bedenklicher Medikamente mit dem deutschen Arneimittelgesetz vereinbar. Ein Schlupfloch im Gesetz macht's möglich: Präparate, die als Fertigarzneimittel auf den Markt kommen sollen, aber den staatlichen Anforderungen nicht genügen, dürfen als »Therapielösungen nach individueller Rezeptur« angeboten werden. Eine Individualrezeptur ist immer dann erlaubt, wenn ein Wirkstoff, der als Fertigarzneimittel nicht erhältlich ist, speziell für einen Patienten zusammengestellt wird. Somit haben die Hersteller diese Regelung auf den Kopf gestellt: Weil ein Teil ihrer Präparate nicht als Fertigarzneimittel zugelassen wird, verkaufen sie den Hausstaub im Rahmen der »Individualrezeptur«. Individuell ist allerdings nur das Etikett mit dem Namen des Patienten, das auf dem Fläschchen mit dem Wirkstoff klebt.

Seit Mitte der Siebziger sind Hausstaubmilben-Präparate aus speziell gezüchteten Milbenkörpern auf dem Markt. Sie enthalten ein abgegrenzteres Spektrum der Allergene und sind, wenn tatsächlich eine Milbenallergie vorliegt, sicher den Staubsauger-Produkten vorzuziehen. Allerdings können in diesen Präparaten Eiweißkörper enthalten sein, die aus der Nährsubstanz stammen. Darauf reagieren empfindliche Menschen unter Umständen auch allergisch.

Bevor man zu scharfen Geschützen greift, sollte man überlegen, ob sich das Allergen aus dem Haushalt entfernen läßt. Etwa, indem man zu Hause bestimmte Matratzen und Möbel austauscht. Auch ein Staubsauger mit guter Filterfähigkeit, der nach DIN Norm 44956 geprüft wurde, rückt Milben zu Leibe. Immer ist die genaue Diagnose, auf welchen Bestandteil des Hausstaubs man allergisch reagiert, Voraussetzung für solche Maßnahmen. ötm