Chromfuß eines Stativs

■ Gespräch über die Hamburger Leibovitz-Ausstellung

Annie Leibovitz, geboren 1949 im US-Bundesstaat Connecticut, war Ende der 60er Jahre Studentin am San Francisco Art Institute und kam bald zur Fotografie. Mit 23 Jahren war sie Cheffotografin des „Rollling Stone“, für den sie die Rockgrößen der 70er in Szene setzte. Später wechselte sie zu „Vanity Fair“. Ihre Porträts wurden 1991 zum erstenmal in einem amerikanischen Museum gezeigt; die Münchner Station ihrer Ausstellung bewies, daß Leibovitz auch in Deutschland Massen zieht. In den Hamburger Deichtorhallen, wohin die Show übernommen wurde, war am Mittwoch Eröffnung. Wir sprachen (am Telefon) mit dem Rechercheur in Sachen Fotogeschichte — und Fotografen — Ingo Taubhorn („Mensch Mann“, Edition Stemmle, 1986) über die Arbeit und Wirkung seiner prominenten Kollegin. taz

taz: Ingo, Du als Rechercheur und Fotograf warst heute in Hamburg und hast Dir die Annie-Leibovitz- Ausstellung angesehen. Gibt es für Dich von Leibovitz etwas zu lernen?

Taubhorn: Also, auf alle Fälle, wenn sie dagewesen wäre, hätte ich sie gefragt, welches Management sie hat. Und da, denke ich, könnte ich eine ganze Menge lernen.

Wie wird gutes Management in einer Ausstellung sichtbar?

Ich bin ja nicht unvorbelastet in die Ausstellung gegangen. Der Medienrummel, der seit München um diese Fotografin gemacht wird, der kommt ja auch an mein Ohr, und ich verfolge das im Fernsehen und in den Zeitungen. Das muß man sich so vorstellen: Man läuft in die Deichtorhallen hinein, auf eine weiße Wand zu, die in großen Lettern die derzeitigen Ausstellungen anpreist. Darunter stehen drei Damen, die zumindest heute, bei dieser Vorstellung, dich in Empfang nehmen. Auch im Auftrag von American Express. Und alle drei Damen sehen aus wie Annie Leibovitz. Man hat sehr genau ausgewählt, welches Gesicht man dort hinstellt. Das habe ich in dieser Art von Ausstellung, auch bei Pressekonferenzen, noch nicht erlebt. Mit welcher Professionalität und mit welcher Selbstverständlichkeit etwas verkauft wird. Du hast das Gefühl, hier wird eine Marke verkauft. Daß es um Fotos geht, erfährt man erst später. Da muß man durch einen ganz langen Gang gehen, und dann wird man so langsam in die Ausstellung eingeführt, die übrigens hervorragend gehängt ist. Das muß man wirklich dem Zdenek Felix lassen, wenn er das selbst gemacht hat. Es ist so gehängt, daß Schwarzweiß und Farbe sich gegenseitig bestärken.

Nun gibt es ja eine große Legende um ihr Selbstporträt — nämlich daß sie keines von sich machen könne. Stimmt das, gibt es kein Bild von ihr in der Ausstellung?

Von ihr selbst gibt es keins. Man wird ja durch zwanzig Jahre Fotografie der Leibovitz geführt. Die Road- Generation-Bilder, Begleitung von Pop-Gruppen, aber eben auch Bilder von ihrer eigenen Familie, ganz am Anfang.

Die sie als Jugendliche fotografiert hat oder später?

Es fängt 1972 an. Das Buch ist nicht identisch mit der Ausstellung, aber auch in dem Buch fängt es mit den Familienbildern an, und das liegt zwischen 1970 und 1972. Von dem Vater, Samuel Leibovitz, gibt es Bilder, die ich sehr mag. Der Vater, einfach stehend vor einer Wäscheleine, vor seiner eigenen Unterhose, das ist mir auch aus meinen eigenen Bildern bekannt.

Dir ist es ja gelungen, Deine eigenen Eltern nackt vor die Kamera zu bekommen. Würdest Du sagen, daß Annie Leibovitz eine mutige Fotografin ist?

Nein, mutig, das kann ich nicht sagen. Mein Problem bei Leibovitz ist — das mag auch wieder das Management bewirken, und natürlich auch der Sponsor —, daß sie überschätzt wird. Genau berechnend fotografiert sie Prominente. Das hat sie in den letzten zehn Jahren exzellent gemacht. Und es ist natürlich für mich immer die Frage: Was kann man eigentlich so richtig falsch machen, wenn man Prominente fotografiert.

Sie ist jemand, die sich technisch hoch rüstet. Ist die Art, Technik zu benutzen, in Gang zu bringen und zu instrumentalisieren, ist das für den Betrachter beeindruckend — oder eher lästig?

Man merkt das nicht so direkt. Ich kenne ein Bild, wo ich diese Technik mal nachvollziehen konnte, das ist eine Collage von David Hockney. Diese Collage wiederum zeigt eine Aufnahme der Szene, wie David Hockney von Annie Leibovitz fotografiert wird. In dieser kubistischen Manier, wie er die Dinge zusammengesetzt hat, zeigt er die verschiedensten Schritte.

Er wird draußen fotografiert, mit der großen Lichtmaschine, einer Blitzanlage, das war, glaube ich, ein hazy light, eine große Wanne, die nach vorn ein diffuses Licht wirft. Das ist auch nichts Spektakuläres, eine Technik, die Anfang der 80er Jahre von der Essener Schule sehr gern praktiziert worden ist: Blitzen bei Tageslicht. Da werden die Figuren ein bißchen aus der Wirklichkeit herausgerückt, so daß sie dem Betrachter unheimlich präsent erscheinen. Man müßte nicht so einen großen Aufwand betreiben, das könnte man eigentlich auch mit einem Stabblitz machen.

Die ersten Farbporträts gibt es von etwa 1974 an. Zum Beispiel ein Bild von Arnold Schwarzenegger: ganz klassisches Seitenlicht, neutraler Hintergrund, mit Hohlkehle. Dann siehst du plötzlich am linken unteren Bildrand den Chromfuß eines Stativs. Jeder andere Fotograf, der professionell und so genau arbeitet, würde wahrscheinlich diese drei Millimeter abschneiden, aber das tut sie nicht.

Wenn der „Stern“ Dich losschicken würde, ein Porträt von ihr zu machen, hättest Du eine konkrete Idee?

Ich definiere mich als Fotograf nicht unbedingt über Prominente. Das ist ja so ein Pingpong-Spiel. Man fängt an, erst einmal ein paar Prominente zu fotografieren, und irgendwann ist man selbst dann sozusagen prominent.

Was mir sympathisch ist: Es wird gesagt, daß sie sich für ihre American-Express-Serie — den Auftrag hat sie 1988 bekommen — Dossiers über die Personen schicken läßt, um die es geht. Sie ackert die Dossiers durch, dann macht sie erst die Fotos. Das kann man in den Arbeiten nachvollziehen. Sie konnte ja die deutschen Prominenten vorher nicht richtig kennen.

Ich finde, Leibovitz sieht aus wie Barbra Streisand. Fotografen zu fotografieren finde ich schwierig. Sie müßte mir erst einmal begegnen. Sie sieht sehr sympathisch aus auf den Bildern. Aber wenn sie zickig wäre, würde ich kein einziges Bild von ihr machen. Ich würde sofort umdrehen.

Das Buch, von dem im Interview die Rede ist: „Annie Leibovitz — Photographien 1970-1990“. Schirmer/Mosel, München 1991, broschiert 68, geb. 128DM.