Folklore und Militärkapellen

■ Der Putsch-Jahrestag soll in Moskau ausgiebig gefeiert werden

Vivat Rossija — unter dieser Devise sollen die Feiern vom 19. bis zum 22. August stehen, zu denen der „Verband der Verteidiger des Weißen Hauses“ anläßlich des Sieges der demokratischen Kräfte in Rußland über die Vorjahrsputschisten aufruft.

Zur Vorbereitung des Ereignisses wurde eigens ein Organisationskomitee gebildet, an dessen Spitze keine geringeren Personen stehen als der stellvertretende Parlamentspräsident Sergej Filatow und der kommissarisch das Amt des Ministerpräsidenten ausübende Jegor Gaidar. Auf einer Pressekonferenz legten allerdings Vertreter der Regierung ebenso wie Repräsentanten der Moskauer Stadtverwaltung Wert auf die Feststellung, sie fungierten weder als Initiatoren noch als Finanzgeber der Festlichkeiten; alles läge ganz allein auf den Schultern einer Gruppe von Privatfirmen, Kommerzbanken und Aktiengesellschaften.

Diese wie überhaupt jede Gelegenheit zum Feiern werden sich die Moskauer kaum nehmen lassen, zumal das Fest somit einigermaßen von dem Geruch befreit ist, das Erbe der offiziösen KPdSU-Ehrentage anzutreten — und obwohl die Putschisten ja so besiegt gar nicht sind. Der Prozeß gegen sie rückt in immer weitere Ferne, und aus ihrem Gefängnis heraus, das seinen Namen „Matrosenruhe“ offenbar verdient hat, geben Pawlow, Krjutschkow und Lukjanow munter Zeitungs- und Fernsehinterviews; letzterer verfaßte sogar ein Bändchen eigener Haft-Lyrik.

Und so hebt denn am Mittwoch, 19. August, alles um 19 Uhr an: auf dem heutigen „Platz der Freiheit Rußlands“ neben dem Weißen Haus werden sich die Verteidiger versammeln, von denen einige — wenn auch vermutlich nicht alle — mit Medaillen ausgezeichnet werden und Erinnerungs-Buttons erhalten sollen. Am Donnerstag tritt Präsident Jelzin während eines Meetings am gleichen Ort auf. Anschließend ziehen die Teilnehmer mit Kerzen zum Ort des Todes der drei Putsch-Opfer, wo um 24 Uhr eine Totenmesse gelesen wird. Bereits für den Morgen des gleichen Tages ist eine alternative Totenfeier auf dem Wagankowski-Friedhof geplant. Freitag, der 22., schließlich verspricht ein vielseitiges Kulturprogramm für alle Geschmäcker aller Bürger der Stadt. Über die Twerskaja-Straße marschieren ab 14 Uhr Militärkapellen. Als erste Bühne dient dann der Rote Platz selbst, nämlich für Folklore und Klassik; auf dem Manege-Platz gibt es Varieté und Schlager; und schließlich am Weißen Haus selbst, in der guten Tradition des Vorjahres, „Rock auf den Barrikaden“. Um 22 Uhr sollen erstmals seit 74 Jahren in der ganzen Stadt alle Glocken wieder gleichzeitig läuten. Und zuallerletzt gibt es — wie es auf russisch heißt — ein Fejerwerk. Barbara Kerneck