piwik no script img

Bonn Voyage!

■ Wenn Bonn nicht regiert wird, letzte Folge: Für mehr Völkerverständigung zwischen Ost-Berlin und Lissabon

Mal ehrlich: Ich wollte nicht wiedervereinigt werden. Ich hatte 1989 mehr Freunde in Lissabon als in Ost-Berlin, obwohl ich in der deutschen Hauptstadt wohne. Wenn ich im Osten zu Besuch war, wurde ich mit Club Cola zugeschüttet. Es wurde erwartet, daß mir das eklige Zeug auch noch schmeckt. Das Beste an der DDR war das Sandmännchen. Der grüne Pfeil ist auch nicht schlecht. Den Rest kann man vergessen. Wer was anderes behauptet, hat einfach keine Ahnung.

Viele gutgläubige Menschen interpretieren den Ruf nach Gerechtigkeit als erstes Anzeichen einer sich formierenden neuen sozialen Bewegung. Das ist grober Schwachsinn. Mit Gerechtigkeit meinen die meisten Ossis, daß sie endlich eine faire Chance bekommen wollen, den ersten Preis im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ zu erhalten. Gebongt. Meinetwegen sollen sie auch einen Rabatt beim Einkauf von Gartenzwergen und Rasendünger kriegen.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die Wessis sind auch nicht besser. Im Gegensatz zu den Ossis haben sie aber schon schöne Dörfer und Gartenzwerge. Rasendünger ist auch nicht teuer. Der einzige Grund, warum ich mich am 10.November 1989 nicht entschlossen habe, Terrorist zu werden und Attentate auf Gartenzwerge zu verüben, war die Aussicht auf ein Vereinigtes Europa. Die Aussichten auf eine gartenzwergfreie Zone zwischen Atlantik und Ural sind zur Zeit allerdings ziemlich düster. Es wird vielmehr eine Menge unternommen, um diese Idee zu torpedieren. Nehmen wir zum Beispiel die Inter-Rail-Karte. Eigentlich eine feine Sache. Man bezahlt 510 Mark und kann einen Monate lang durch Europa reisen, sich mit seinem Rucksack in schöne Dörfer legen und Gartenzwerge vernichten. Man lernt interessante Leute kennen und sagt sich: Kruzitürken! Der Grieche hat wirklich eine große Nase!

Man setzt sich also mit fremden Kulturen und ihrer Geschichte auseinander. Inter Rail war das vernünftigste antirassistische Programm, das es jemals in Europa gegeben hat. 26 Nationen darf man bereisen. 360.000 junge Leute nutzen jährlich dieses Angebot. 60.000 von ihnen kommen aus Deutschland. Jeder zweite Inter Railer fährt nach Paris. Nicht nur die Franzosen haben nun die Schnauze von den Rucksacktouristen voll. Während die Deutsche Bahn kräftig abkassiert, müssen die Südwesteuropäer die versauten Bahnabteile saubermachen. Nach Deutschland fahren nämlich wenig junge Europäer, wahrscheinlich wegen der schönen Dörfer und der Gartenzwerge.

Das Bundesverkehrsministerium in Bonn hat gestern in einer Presseerklärung versichert, daß man sich mit denen da unten schon irgendwie einigen werde. Auf deutsch: Das Ticket wird ab 1994 teurer. Das ist blöd. Meine Freunde in Ost- Berlin können sich das Teil jetzt schon kaum leisten, wenn sie meine Freunde in Lissabon besuchen wollen. Verkehrsminister Krause wäre daher gut beraten, das Inter-Rail-Programm zu subventionieren. Vielleicht hat er ja mal Zeit, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Meistens soll er ja in seinem Hobbykeller sitzen und mit Matchbox-Autos spielen. Geräusche wie „Brumm! Brumm!“ oder „Wrooaamm!“ dringen dann durch die verschlossene Tür. Also, Krause: Inter Rail. Feine Sache. Du bißchen Geld abzweigen von Autobahn. Sonst: „Kawumm!“ Und dann: Bonn Voyage, Herr Minister. Claus Christian Malzahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen