Keiner will den Blankoscheck

■ Auch nach Verabschiedung der UNO-Resolutionen ist unklar, wie die vage formulierten Beschlüsse umgesetzt werden sollen/ Fraglich ist vor allem, ob die Nato-Mitgliedsstaaten bereit sind, 100.000 Soldaten...

Keiner will den Blankoscheck Auch nach Verabschiedung der UNO-Resolutionen ist unklar, wie die vage formulierten Beschlüsse umgesetzt werden sollen/ Fraglich ist vor allem, ob die Nato-Mitgliedsstaaten bereit sind, 100.000 Soldaten zur Sicherung eines Landkorridors bereitzustellen

Bosniens UN-Botschafter Muhammed Sacirbey brachte es auf den Punkt. Die von seinen Kollegen im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedete Resolution sei nicht mehr als „ein Pflaster“. Sie sei das nötige „Minimum, um die öffentliche Meinung zu beruhigen“ und bestenfalls ein Versuch, „am Rande mit dem Symptomen einer Krankheit umzugehen“. Erbeten hatte Bosnien-Herzegowina unter anderem die Aufhebung des gegen die ehemaligen jugoslawischen Republiken verhängten Waffenembargos, damit die seit Monaten umkämpfte Balkanrepublik ihr — wie Sacirbey betonte — „elementarstes Recht auf Selbstverteidigung“ gegen die serbischen Angreifer ausüben könnte. Bekommen hat Bosnien nun das vage Versprechen der UN, die Auslieferung von Lebensmitteln und Medikamenten „falls nötig“ mit militärischer Gewalt zu unterstützen. Dabei hat der Sicherheitsrat bewußt völlig im unklaren gelassen, wieviele Truppen, und vor allem von wem sie im Zweifelsfall eingesetzt werden sollen.

Und obwohl die Fernsehbilder von ausgemergelten Gefangenen in serbischen Internierungslagern und die dadurch in Europa und den USA ausgelöste öffentliche Empörung letztlich für die Verabschiedung der UN-Resolution verantwortlich sind, hat die UN gezögert, ihre Forderung nach einem „ungehinderten und ständigen“ Zugang zu den Lagern für internationale Hilfsorganisationen mit der Androhung von Waffengewalt zu unterstreichen. Da hofft man, wie im übrigen auch bei der Verteilung von Hilfsgütern, künftig auf die Kooperation der Serben in Bosnien-Herzegowina. „Vergeßt das nicht“, erklärte der britische UN-Botschafter David Hannay, „dies ist keine Resolution, die den Gebrauch von Gewalt vorschreibt, es ist lediglich eine Resolution, die das als letzten Ausweg erlaubt.“

„In Koordination mit den Vereinten Nationen“ können ihre Mitglieder mit Hilfe von „nationalen oder regionalen Vertretungen und Vereinbarungen“ militärische Aktionen starten, hat der Sicherheitsrat formuliert und damit eine gemeinsame Unternehmung von NATO und WEU erlaubt. Doch die Hoffnung, die Serben allein mit dieser Drohgebärde einschüchtern zu können, ist groß. Denn weder die Amerikaner noch die Europäer sind bereit, Bodentruppen in das unwegige und unübersichtliche Bosnien zu entsenden. Mit Verweisen auf Vietnam und Libanon, wo amerikanische Truppen jahrelang und mit großen Verlusten erfolglos gegen Guerillas gekämpft haben, warnten erst vor wenigen Tagen Militärexperten in einer Anhörung vor dem US-Senat energisch vor dem Einsatz jeglicher Streitkräfte in Bosnien. Der kanadische Generalmajor Lewis MacKenzie, bis vor kurzem Kommandeur der UN-Streitkräfte im ehemaligen Jugoslawien, riet von jeglicher militärischer Intervention — auch als Begleitschutz für humanitäre Lieferungen — ab. Dies würde allein die Gewalt eskalieren und zum Tod weiterer Menschen führen. Mac Kenzie sieht nur noch eine Lösung: Bosnien muß seine Niederlage gegen die Serben anerkennen.

Die von den USA in Zusammenarbeit mit Briten, Franzosen, Russen und Belgiern trotz aller Warnungen dann doch in den Sicherheitsrat eingebrachte Resolution fand die Zustimmung von 12 der insgesamt 15 Mitglieder des UN-Gremiums; China, Indien und Zimbabwe enthielten sich. China argumentierte, selbst die Androhung eines militärischen Eingriffs behindere die Hilfsarbeiten in Bosnien und lenke im übrigen von der Notwendigkeit einer friedlichen Lösung ab. In einer einmütig verabschiedeten zweiten Resolution verurteilt die UNO außerdem die von den Serben angewandte Praxis der „ethnischen Säuberung“ als Verstoß gegen internationales Recht, die Bestrafung von Kriegsverbrechen wird angedroht. Kein Gehör fand die Forderung von Menschenrechtlern, ein Tribunal gegen Kriegsverbrecher — etwa wie die Nürnberger Prozesse — abzuhalten.

Ein erstes Angebot für die Entsendung von Truppen kam am Freitag aus Paris. 1.100 Soldaten, so Außenminister Roland Dumas, wolle Frankreich zum militärischen Schutz der humanitären Hilfslieferungen in Bosnien zur Verfügung zu stellen. Das Kontingent solle eine Hubschraubereinheit, eine Einheit mit leichten Panzern, eine Transport- und Pioniertruppe umfassen. Auf die Frage, ob die Truppe auch Gewalt anwenden dürften, antwortete Dumas: „Sie muß alle Maßnahmen ergreifen, damit die Hilfe ihr Ziel erreicht.“ Damit die Gefahr, in Kämpfe verwickelt zu werden, gesenkt werden könne, erbitte Frankreich von Bosnien die Möglichkeit, seinen Soldaten ausreichend Luftunterstützung geben zu können.

Aber auch von den Staaten der WEU erhofft Frankreich sich Unterstützung. Dumas: „An seine Partner richtet Paris die Frage: Was tut ihr an unserer Seite?“ In Abstimmung mit WEU und Nato müsse ein einziges Oberkommando oder zumindest eine Kommando-Koordinierung sichergestellt werden. Zugleich stellte der Außenminster jedoch fest, daß er „eine vollständige kriegerische Militäraktion“ für falsch halte.

Bereits vor der Verabschiedung der UNO-Resolution war bekannt geworden, daß die Regierung in Ankara die Aufstellung eines 480 Mann starken motorisierten Bataillons vorbereite. Im Gegensatz zu Frankreich setzt sich das Land — ähnlich wie der Iran — jedoch auch für einen militärischen Schlag zur Unterstützung der bosnischen Moslems ein.

Wie die militärische Unterstützung der Hilfskonvois nun jedoch aussehen soll — und ob sie überhaupt zustande kommt, das blieb auch am Freitag unklar. Bisher hat sich die WEU lediglich auf die Schaffung einer Expertengruppe verständigt, die alle Optionen für ein militärisches Eingreifen in Bosnien prüfen soll. Doch bereits jetzt kann als sicher gelten, daß die Idee eines militärisch geschützten „humanitären Korridors“ für Hilfslieferungen von der Adria nach Sarajevo „außerhalb einer realistischen Vorstellung“ liege.

Statt dessen soll die Expertengruppe nun nach Lösungen suchen, die „den Eindruck einer militärischen Besetzung“ vermeiden, aber gleichzeitig die humanitäre Hilfe für die betroffene Bevölkerung gestatten. Möglicher Ausweg: Anstatt einen ständigen Korridor zu schaffen, sollen die Hilfslieferungen lediglich eskortiert werden. Für eine Lösung des Balkan-Konflikts müsse aber weiterhin nach diplomatischen Wegen gesucht werden.

Eine Unterscheidung zwischen Landkorridor und militärischer Eskorte findet sich auch in den Stellungnahmen der NATO. Eine Ablehnung des Korridors zwischen Sarajevo und Split wird dabei mit der Ansicht begründet, daß die Mitgliedsstaaten der Nato wohl kaum bereit wären, die notwendigen Verbände in einer Stärke zwischen 60.000 und 150.000 Mann zur Verfügung zu stellen. In Nato-Kreisen wird außerdem darauf hingewiesen, daß es sich bisher um rein vorsorgliche Untersuchungen handelt. Nach Ansicht des belgischen Nato-Botschafters werde sich der Generalsekretär der UNO voraussichtlich erst morgen direkt oder über den Ratsvorsitzenden der KSZE an das Bündnis wenden.

Martina Sprengel, Washington/ her