Sag mir quando, sag mir wann

■ „Musik liegt in der Luft“: Dieter Thomas Heck mit seiner ZDF-Show in der Bremer Stadthalle / Ein Report von der Generalprobe

Gut 1.000 Zuschauer haben sich versammelt, Gratis-Tickets gab es z. B. bei den Toto- und Lotto- Annahmestellen. Leute sitzen hier mit glänzenden Gesichtern, Sie klatschen gern und haben das meiste hinter sich. Leute mit Geschichte im Gesicht. Alt sind wir geworden.

Wie Dieter. Aufgeschwemmt, Doppelkinn, Furchen, die von den Mundwinkeln abwärts zeigen, graues Vollhaar. Übrigens live absolut keine Überraschung. DTH live deckt sich hundertprozentig mit dem Bild, das das Fernsehn von ihm vermittelt. Ein klassischer TV-Zombie, aber herzensgut. Seine Show „Musik liegt in der Luft“ ist eine nostalgische Veranstaltung, da zeigt Dieter, was aus den Stars seiner „Hitparade“ geworden ist. Motto: „Kinder, wie die Zeit vergeht“. Eine Show übers Altern.

Es ist Freitag, wir sitzen in der Stadthalle: Generalprobe von Hecks großer Samstags-Show, die am darauffolgenden Abend zur besten Sendezeit (live) über den Äther gehen sollte.

Der Reiz, bei der Produktion einer TV-Show dabei zu sein, hängt mit Entdeckungsfreude zusammen: Die fertige Live-Show am Bildschirm ist eine perfekte Simulation; wie das gemacht wird, kann man hier sehen. Auf drei Bühnen nebeneinander ist gleichzeitig Action, der naive TV-Gucker ahnt ja nicht, was dicht neben dem RIAS-Tanzorchester unter Horst Jankowski alles passiert. Rohre für Trocken

Die absolut tüchtige Frau Zeitler von der Regie, wie sie dem Bremer Publikum unwiderstehlich einheiztFoto: Christoph Holzapfel

eisnebel werden verlegt, Kulissen werden geschoben, Kameras kollidieren, ein Ford Thunderbird rollt heran, und eine Assistentin sortiert die Spickzettel für Dieter (ozeanblaues Sakko, purpurnes Einstecktüchlein, gestreiftes Frackhemd und floral gemusterte Fliege).

Ist die Nummer mit Costa Cordalis vorbei, tost Applaus — Rhythmus und Dauer desselben

gibt Frau Zeitler von der Aufnahmeleitung vor, mit hocherhoben skandierenden Händen. Das ist eine derart gestrenge Frau mit ausrasiertem Nacken, daß sie gewiß keinen Vornamen hat. Sie scheucht das Rudel Kameras über die Bühne, sie schiebt DHT auf seine nächste Position, sie dirigiert den Schnitt. Und Live- Schneiden z.B. im Takt zu einem Song von Truckstop ist eine hohe Kunst: „Du bist immer auf Achse / Dir feht schon seit Jahren die richtige Frau“.

Das Publikum ist einerseits Beweis für „live“, andererseits potentielle Störquelle in einer so perfekten Produktions-Maschine. Zu große oder ausbleibende Begeisterung: undenkbar. Deshalb die Generalprobe mit Publikum — die Appläuse müssen kalkuliert werden. Jede Minute kostet 10.000 Mark.

Da die Show für Millionen und nicht für die Handvoll Bremer in der Stadthalle produziert wird, mutet man uns weitere Ernüchterungen zu. Das Deutsche Fernseh-Ballett (Ex-DFF) kann sich nicht schnell genug umziehen, also wird „vorgemazt“: In die Live-Sendung werden, daheim nicht zu merken, Aufzeichnungen reingeschnitten. Fast nackte Schöne wirbeln über die Bühne — Schnitt zu Dieter — der bedankt sich brav nach links ins Leere.

Natürlich macht er senile Witz

hierhin bitte das

Foto vom

Saalpublikum

plus Frau mit

erhobenen Händen

chen (zum 6.000-Mark-Gewinn: „na, Monika, Sex hast Du schon, tausend fehlen noch“) und bekommt laufend große Pappen vor die Nase gehalten, weil er sich Namen nicht mehr merken kann und Programmteile vergißt; und das Sprechtempo ist aus physiologischen Gründen moderat geworden. Aber Dieter Thomas Heck, das heißt auch: Alles ist gut, alles geht weiter, alles kommt wieder.

50er Hits? Wieder groß im Kommen, die Heartbreakers sind der Beweis. „Marina, Marina“ - „Sag mir quando, sag mir wann“ - „Wunderbares Mädchen“. Oder Smokie: wieder oben nach all den Jahren. Und Tony Marshall, der „Fröhlichmacher der Nation“ („Schöne Maid, hast du heut' für mich Zeit“), ist er nicht schon Opa und doch seit ewigen Jahren glücklich verheiratet?

Gelächter im Publikum: Das ist natürlich nicht Tony, die großen Stars proben nicht, die kommen erst morgen. Doch der Statist da ist so ein prima Playback-Künstler, daß man auf einmal versteht, daß hier alles, alles Playback ist. Der beliebte Kurzausflug der Künstler in die Zuschauerreihen — gleißendes Saallicht, Kameraschwenk — ist für uns Livepublikum komisch: ein stummer Fisch klappt sein Maul auf und zu. Und wenn der unsägliche G. G. Anderson auf einer von einem geflügelten Pferd gezogenen Hoch

zeitskutsche von „Weißen Rosen“ schluchzt, stehen zwei Dutzend bebrillte Aiturientinnen mit weißen Faltenröckchen in Reih und Glied und streichen tonlos ihre juchzenden Geigen.

Zuschauerbeteiligung heißt das Credo der Funk- und Fernsehveranstalter. Darum steigen am Samstag beim Bremer Roland 2.000 Ballons mit Antwortkarten auf, darum wird in der Show verlost, werden Musikwünsche erfüllt. Der Knaller der Show jedoch: Die Stars sitzen bald eine Stunde lang in kleinen Telefonkabinen und nehmen Zuschauerwünsche entgegen. Das wirkt entwürdigend, aber: Das ist sie, die nimmer wiederkehrende Chance, mit dem Star zu sprechen! Genial.

Bis zu 280 Leute laufen 15 Tage in der Stadthalle herum, die Produktionskosten liegen über einer Million. Eine solche Produktion hat bei aller Routine etwas Monströses, Dinosaurierhaftes. Wahrscheinlich werden alle gemeinsam altern und aussterben: Wir auch, Dieter. Burkhard Straßmann

PS (1): Die Live-Übertragung aus der Bremer Stadthalle am Samstag beendete Dieter Thomas Heck mit den Worten „Servus und auf Wiedersehn aus München...... äh Bremen“. Wie wir Dich lieben, Dieter!

PS (2): Das ZDF wiederholt die Sendung etwas weniger live heute um 11 Uhr.