»Wir werden nur noch belogen und betrogen«

■ Werner Klöditz (84), der letzte Pelzveredler Berlins, kann nach 29 Jahren die mehr als verzehnfachte Miete nicht mehr bezahlen und muß seine Werkstatt in Kreuzberg aufgeben/Dem Opfer der Spekulanten bleiben noch 833 Mark Rente

»Ich weiß nicht«, brummt Werner Klöditz und zieht an seinem Zigarettenstummel, »ob das überhaupt was bringt. Ich bin ja nun bald raus hier.« Wir sitzen an einem kleinen Holztisch. Trotz der Hitze draußen auf dem Kreuzberger Mehringdamm ist es im Keller des zweiten Quergebäudes angenehm kühl. Werner Klöditz ist 84 und der letzte Pelzveredler Berlins. Zum 31.7. wurde er gekündigt. Die Berolina Grundbesitz GmbH, die das Haus vor anderthalb Jahren erwarb, forderte 2.500 Mark Miete. Zuvor hatte er 100 Mark bezahlt. Am Mehringdamm 51 durchaus kein Einzelfall. Von den ansässigen Betrieben sind drei übriggeblieben, die anderen, unter ihnen Projekte wie »Rote Grütze« oder »Sehstern«, mußten gehen. Mieterhöhungen um ein Vielfaches zwangen auch den Pächter der Kneipe, einen Freund von Werner Klöditz, zur Aufgabe. Er sollte statt 1.100 plötzlich 6.500 Mark bezahlen. »Ich bin ja eigentlich ein friedlicher Mensch«, sagt Klöditz, »aber denen sollte man die Köppe abhauen.«

Seit nunmehr 29 Jahren betreibt der in der Oberlausitz Geborene sein Handwerk. Die Kunden sind vor allem Kürschner, selten Jäger. Die bringen ihm die rohen Felle, und Klöditz veredelt sie zur Weiterverarbeitung. Obwohl die Maschinen nun weg sind und er nur noch darauf wartet, daß die Kunden die letzten Pelze abholen, trägt er noch immer seinen grauen Kittel. Morgens, wenn er mit dem roten Klapprad von der Fidicinstraße den Mehringdamm herunterfährt, kommt er im weißen Kittel. Werner Klöditz läßt sich nichts anmerken. Er zeigt Haltung.

Nur wenn er von »besseren« Zeiten erzählt, beginnen seine Augen zu leuchten. Sein Vater Franz war ebenfalls Pelzveredler. Kurz vor dem Mauerbau setzte er sich nach Berlin ab und machte sich 1963 selbständig. Außer ihm gab es in Berlin einen weiteren Gerber. »Das war nicht einfach«, erzählt er. »Aber weil ich die Branche aus dem Effeff kannte«, lächelt er verschmitzt, »wußte ich, wie man sich die Maschinen besorgt.« Ein Schrotthändler stand ihm zur Seite. Alles hat er sich selbst gebaut. Ein Kreismesser, Entfleischungs- und Schleifmaschinen, eine Bäkelmaschine und eine Läutertrommel.

»Dreiundzwanzig Arbeitsgänge braucht es, bis der Rohpelz behandelt ist und zum Natel verarbeitet werden kann.« Werner Klöditz erzählt alles haargenau. »Nachdem die Felle zugerichtet sind, sind sie ziemlich zusammengetrocknet. In der Läutertrommel werden sie dann mit feuchten Buchenspänen versetzt. Danach lassen sie sich dehnen und weiter bearbeiten.« Seine Hände ahmen die Bewegungen nach, die ihm von nun an versagt sein werden. »Man kann sich gar nicht vorstellen, wie zeitintensiv das ist. Die Großen«, erklärt er, »geben die Felle ins Ausland, weil da die Löhne niedriger sind. Da werden sie dann für vier Mark die Stunde verarbeitet und landen bei Lösche auf der Stange.« Trotz allem konnte er sich über Wasser halten. »Zeitweise hatte ich 600 Pelze auf Lager. Da war die Bude voll.«

Nun ist sie leer. Werner Klöditz hat versucht, was zu versuchen war. Von 2.500 auf 1.600 hat er die Berolina herunterhandeln können. Danach war Schluß. »Dann hab' ich denen gesagt, wenn ihr soviel Miete haben wollte, dann grenzt das an Gangstertum. Seit Berlin Hauptstadt ist und das große Geld kommt...« Einen Moment scheint es, als würde er die Fassung verlieren. Er blickt in den Raum. Dann steht er auf und zeigt mir die Pelze. »Das hier ist ein Keiler. Rehe sind ja leichter, aber so'n Schwein auf die Maschinen zu bringen, das erfordert den ganzen Mann.« Werner Klöditz wird still. »Vielleicht«, sagt er dann, »war es ja gut, daß es so kam.« Es fällt schwer, ihm das zu glauben.

Was er nun machen wird? »Das Rad dreht sich immer weiter. Nur wie, weiß ich nicht.« Klöditz wird von 833 Mark Rente im Monat leben müssen. Die Parterrewohnung im Hinterhaus der Fidicinstraße kostet 277 Mark. »Vielleicht bekomm' ich ja Wohngeld. Aber bevor ich mich darum kümmere, müssen erst noch die Pelze weg.« Dann zeigt er ein Einschreiben der Hausverwaltung, das er kurz zuvor bekommen hat. Was das denn zu bedeuten habe, fragt er. In seiner Stimme liegt eine düstere Ahnung. »Sie haben die Mietsache nicht fristgemäß überlassen. Wir berechnen Ihnen daher eine Schadensersatzforderung von 432 DM. Sollten Sie die Mietsache nicht bis zum 12. August geräumt haben, werden ohne weitere Mitteilungen gerichtliche Schritte eingeleitet.« Werner Klöditz kann es nicht fassen. »Die haben doch am Telefon gesagt, ich kann noch einen Monat bleiben.« Er hält sich am Tisch fest. Die angebotene Hilfe schlägt er aber aus. Auch das will er selber regeln.

»Ehrlichkeit«, sagt er noch, bevor wir uns verabschieden, »paßt nicht mehr rein in die heutige Wirtschaftslage. Wir werden doch nur noch belogen und betrogen. Und wer sich darauf nicht versteht...« Uwe Rada