KOMMENTAR
: Keine Zwischenlösungen

■ Thierse ist der richtige Mann für den SPD-Vorsitz

Das politische Aus für Walter Momper kann nach den eindeutigen Reaktionen aus seiner Partei wohl als sicher gelten. Wie es mit der Berliner SPD weitergehen soll, muß die Partei nun rasch beantworten. Dabei muß mehr als taktisch bestimmtes Stühlerücken und Zwischenlösungen herauskommen, für das es gegenwärtig einige Hinweise gibt. Den Fraktionsvorsitzenden Ditmar Staffelt mögen sich weder Partei noch er selbst als Landesvorsitzenden vorstellen. Dagegen spricht allein die doppelte Arbeitsbelastung. Zudem müßte Staffelt befürchten, verschlissen zu werden, bevor sich überhaupt die Frage nach der von ihm angestrebten Spitzenkandidatur stellt. Schließlich muß er beständig zwischen einer Partei, die ob der zu schluckenden politischen Kröten frustriert ist, und seiner Kärrneraufgabe innerhalb der Großen Koalition tarieren. Es mag für Staffelts Absichten deshalb gut sein, jetzt einen Landesvorsitzenden zu küren, der selbst keine Ambitionen auf die Spitzenkandidatur hat.

Aber ein Amtsverwalter, und mag er noch so gut sein wie der Bundestagsabgeordnete Gerd Wartenberg, kann den Berliner Sozialdemokraten nicht guttun. Staffelt, der mit immenser Kleinarbeit die Große Koalition zusammenhält, ist ein Manager der Macht und ein Künstler des Pragmatischen, der sich auch für zweifelhafte Kompromisse nicht zu schade ist. Ein charismatischer, politischer Visionär ist er nicht. Was die Stadt jetzt aber braucht, ist eine Persönlichkeit, die gleichermaßen für das Zusammenwachsen der Stadt als auch für einen neuen politischen Stil steht. Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Wolfgang Thierse ist eine solche Person. Er setzt die leisen, abwägenden Töne gegen die grobe Sprache eines erstarrten Polit-Rituals, gestattet sich das Nachdenken über festgezurrte Glaubenssätze und führt die fast behäbig wirkende Langsamkeit der Ostdeutschen als Qualität in die Politik ein. Er verabscheut es zugleich nicht, mit scharfer Zunge für seine Ziele zu streiten. Der Berliner Thierse wäre der Mann, der die Unterstützung des linken Flügels hat und dem die Rechte ihre Zustimmung nicht verweigern könnte. Mit Thierse, der den spannungsgeladenen Vereinigungsprozeß nicht nur als technokratisches Machbarkeitsproblem, sondern als politisches Ringen um gesellschaftsverträgliche Lösungen und individuelle Gerechtigkeit begreift, gewänne die SPD verlorene Glaubwürdigkeit zurück. Es signalisierte, die Ostberliner ernst zu nehmen. Und vielleicht bekäme die Stadt endlich jene niveauvollen politischen Debatten, die ihr so bitter fehlen. Gerd Nowakowski