Nur Dorfwahlkampf ist schlimmer

■ Die Bundesvereinigung der Singlegruppen feierte unter dem Funkturm

Berlin. Wer die Vorzeige-Singles erwartet hatte, wie sie penetrante Lifestyle-Magazine ständig porträtieren, wurde am Samstag abend beim »Höhepunkt des Deutschlandtreffens für Alleinstehende« bitter enttäuscht. Keine Yuppies oder Dinkies (Double-Income- No-Kids-Protagonisten), sondern gutherzige alleinstehende Muttis und angegraute Fast-Opas waren in das Funkturmpalais gekommen. Gleich dutzendweise traf man hier die spießigste Art der Gattung des Homo singularis: unfreiwillige, schicksalsgeschlagene Singles.

Alles was gut und bieder ist für einen seichten Unterhaltungsabend, hatte der Berliner »Club der Mittelalterlichen« (CM), der den »Ball« als gastgebender Verein ausgerichtet hatte, aufgeboten. »Deftig, urwüchsig und gemütlich« sollte es werden, sagte Horst Fröhlich, Vorsitzender der Bundesvereinigung der nichtkommerziellen Single-Vereine in Deutschland, zur Eröffnung. Bierselig schunkelten 500 deutsche Singles, AusländerInnen waren nur beim Servicepersonal zu sehen, gegen die Einsamkeit, den Mief deutscher Vereinskultur im Rücken. Nur der Dorfwahlkampf sei noch schlimmer, moserte meine Tischnachbarin.

Doch die Mehrzahl der SinglerInnen war voll dabei, wenn Conferencier Hans-Joachim Stiegler mit flotten Sprüchen Geselligkeit verordnete. Zum Beispiel Marlies Klein aus Düsseldorf. Sie ist vor vier Jahren in den Düsseldorfer Singleclub »Radschläger« eingetreten, weil nach der Trennung ein Partner zum Karneval- und Weihnachtenfeiern fehlte. Für jeden Abend, den sie nicht vor der Glotze verbringen müsse, sei sie dankbar, gesteht sie. Mit ihrem Club könne sie ihre Freizeit jetzt sinnvoll gestalten. Grillparties, Museumsbesuche und Wanderungen würden im Club in »Eigeninitiative« organisiert, nur die Herren würden fehlen. Ungefähr 10 Prozent aller Clubmitglieder seien Männer: »Wir fragen uns immer, was tun die Männer, aber das wissen wir leider nicht.« Vollkommen entnervt dagegen verläßt Sylvia Feder kurz vor 22 Uhr den Singleball. 25 Mark habe sie für die Eintrittskarte ausgegeben, ärgert sie sich. »Mir ist übel«, sagt sie. Den ganzen Abend seien nur flache Witze über Sex, Scheiße und Saufen gerissen worden. »Ich habe einen Tanzabend mit Niveau erwartet, aber keine Schunkelveranstaltung mit ungepflegten, alten Tanten und Onkeln«, lästert sie, während sich die Singler zur großen Polonaise aneinanderreihen. »Heidi-Heido« schallt es durch das Foyer. Auf dem leergefegten Platz vor dem Palais debattieren zwei Frauen über die Biederparty. »Das war ja unmöglich«, empört sich eine von ihnen, »aber Café Keese kannste ja auch nur einmal in der Woche machen.« Rüdiger Soldt