Schweden: 3.000 zusätzliche Alkoholtote durch EG ?

■ Saufen in der Gemeinschaft

Saufen in der Gemeinschaft

Stockholm (taz) — Die drohende EG-Mitgliedschaft Schwedens verspricht nicht nur das Defizit im Staatshaushalt kräftig aufzustocken, sondern auch ein Gesundheitsrisiko zu werden. Zusätzliche Kosten für das Gesundheitswesen von 30 Milliarden Kronen (acht Millarden Mark), drei Prozent des schwedischen Bruttonationalprodukts, und 3.000 zusätzliche Tote werde Brüssel den SchwedInnen bescheren, hat Sven Andreasson, Dozent für Gesundheitsforschung in Stockholm, ausgerechnet.

Mit dem Beitritt zur EG müßte Schweden das bisherige staatliche Alkoholmonopol aufgeben, die Preise müßten auf das Niveau Dänemarks und der Bundesrepublik gesenkt werden. 50 Prozent Preissenkung werde zu einem 50prozentigen Anstieg des Alkoholkonsums führen, mit dem Ergebnis, daß sich 50 Prozent mehr SchwedInnen als bisher zu Tode saufen würden.

Eine Milchmädchenrechnung der in Schweden stark verankerten AbstinenzlerInnenbewegung? Sven Andreasson hält seine Zahlen eher als zu niedrig angesetzt: „Viele von den AlkoholikerInnen, die wir jetzt schon haben, werden sich in kurzer Zeit nach einer Preisfreigabe zu Tode getrunken haben. Jetzt ist das einzige Hindernis hierfür, daß sie nicht genug Geld dafür haben.“ Bei um etwa 50 Prozent höheren Preisen als in Mitteleuropa beträgt der statistische Durchschnittsverbrauch pro SchwedIn sechs Liter reinen Alkohols im Jahr. Dänemark und die Bundesrepublik liegen etwa bei zwölf Litern. Doch die offizielle Statistik sagt nur die halbe Wahrheit. In wenigen Ländern dürfte das Schwarzbrennen so verbreitet sein wie in Schweden. Alles was sich zu Alkohol destillieren läßt, von Kartoffeln bis zu Tomatenketchup, wird in Kellern und Schuppen durch selbstgebaute Destillationsapparate gejagt. Der neuste Renner ist das Chemikalienpaket eines Versandhauses, mit dessen Hilfe man zwar nicht Wasser, aber immerhin Traubensaft in „Wein“ verwandeln kann. Die für die Folgen dieses Wunders unumgänglichen Kopfschmerztabletten werden allerdings nicht mitgeliefert.

Schätzungen gehen dahin, daß etwa ebensoviel illegaler Alkohol durch die Kehlen rinnt, wie über die Ladentische des staatlichen „Systembolaget“ verkauft wird. Die SchwedInnen hätten damit das mitteleuropäische Nieveau bereits erreicht, und Preissenkungen würden allenfalls dazu führen, daß die alte Tradition des Schwarzbrennens ausstirbt, weil sich die Mühe weder finanziell noch angesichts des Strafrisikos mehr lohnt. Sven Andreasson hält nicht viel von dieser Argumentation: „Das Ausmaß des Konsums ist eine Funktion aus Preis und Einkommen. Wenn in dieser Rechnung kein neuer Faktor dazukommt, wird ein gesunkener Preis in gleichem Maße den Konsum erhöhen.“ Welcher neue Faktor denn die SchwedInnen veranlassen könnte, sich eine maßvollere Alkoholkultur anzugewöhnen? Von Aufklärung hält Andreasson nicht viel: „Es gab mal eine Gesundheitskampagne ,Eßt sechs Scheiben Brot am Tag‘. Plakate mit dem Text ,Trinkt nur ein Glas Bier‘ würden doch zu Lachkrämpfen führen“, weiß er.

Für die AbstinenzlerInnenbewegung ist die EG-Volksabstimmung schon gelaufen: ein glattes Nein, wenn Brüssel nicht den Fortbestand des Alkoholmonopols erlaubt. Reinhard Wolff