Stövers Nase stößt auf Spitzendessous

■ Der umstrittene Tatort „Armer Nanosh“ wird heute erstmals in der ARD um 23 Uhr wiederholt

Die Schonzeit ist vorbei. Der Tatort „Armer Nanosh“ steht wieder auf dem Programm, obwohl er bei seiner Erstausstrahlung vor drei Jahren im Juli für erhebliche Proteste sorgte. Der Vorsitzende des Zentralrates der deutschen Sinti und Roma, Romani Rose, bezeichnete den Krimi damals als „rassistisch, herabsetzend und beleidigend“. Kein Zigeuner-Klischee werde ausgelassen und lediglich eine „Kriminalitätsstruktur“ dieser Volksgruppe gezeigt.

Im Mittelpunkt des Filmes steht die Identitätskrise des Zigeuners Nanosh Steinberger (Juraj Kukura). Als Kind wird er von hanseatischen Pfeffersäcken adoptiert und mit dem Namen Valentin Sander versehen. So entkommt er der Deportation durch die Nazis. Später übernimmt er gutbetucht die Leitung des Kaufhauses der Familie. Zum Verhängnis wird Nanosh sein Verlangen nach der Künstlerin Ragna Juhl (Renate Krößner), einer Femme fatale mit der sexuellen Ausstrahlung eines Zigeunerschnitzels. Ihr zierend-zickiges Verhalten verleitet ihn, völlig enthemmt Zeitungen zu zerknüllen und ein Lagerfeuer auf dem Parkettfußboden ihres Ateliers zu entfachen. Nach quälenden 45 Minuten verfängt sich endlich ein Schnitzmesser in Ragnas zarten Rippchen. Der Kreis der Verdächtigungen zieht sich um Nanosh zusammen. Er taucht ab.

Nun treten die Kommissare Paul Stöver (Manfred Krug) und Peter Brockmüller (Charles Brauer) auf den Plan. Einige Kostproben aus dem Tagebuch der Ermittlungen: Im Wohnwagenlager der Zigeuner am Rande der Stadt stoßen die beiden auf Pistolen, musizierende Jugendliche und rote Spitzendessous auf der Wäscheleine. „Was für ein Volk“, entfährt es Stöver. Die Ehefrau des Gesuchten, eine Blankeneser Bürgerstochter, verrät den Schnüfflern: „Eine ungeschlagene Frau ist bei den Zigeunern wie ein Stück ungebratenes Fleisch.“ Schließlich landet Nanosh in der Zelle und bemerkt: „Keine Spur von Auschwitz-Birkenau, meine Eltern hätten das für ein Hotel gehalten.“ Doch Stöver entlarvt letztlich Nanoshs Prokurist Heinrich Frohwein (Edgar Selge) als Mörder. Das Motiv heißt Rache. Sein Vater war zur Nazizeit als Polizist für Zigeunerdeportationen zuständig und wurde deshalb im Nachkriegspolen hingerichtet.

Das Drehbuch schrieb Martin Walser — sein Debüt in diesem Genre. Es war ihm „wichtig zu zeigen, wie einer zum Täter wird“. Weiter wollte er den Kriminalstoff in einen größeren historischen Zusammenhang einbinden. Als Vorlage diente ihm ein Romanexposé der Münchner Schriftstellerin Asta Scheib, dessen Story auf einer angeblich authentischen Geschichte basiert, die sich vor elf Jahren in der Hansestadt zugetragen haben soll. Auf die scharfe Kritik Romani Roses reagierte Walser „fassungslos“. Zu einer öffentlichen Diskussion in Hamburg erschienen vom Filmteam lediglich Scheib und Regisseur Stanislaw Barabas, Rose und Walser fehlten. Es kam zu keiner Verständigung; der Krimi „Armer Nanosh“ wurde aber kurz darauf als Taschenbuch veröffentlicht.

Tatsächlich ist die Absicht des Filmes, Aufklärung zu leisten, gründlich mißraten. Doch das liegt nicht nur an der unrealistischen, platten und plakativen Umsetzung der Thematik, sondern auch an der oberflächlichen Recherche. Parallel zur Drehzeit (Oktober, November 88) und zum Sendetermin hatten die Roma und Sinti in Deutschland massive Probleme. Ihr verzweifelter Kampf gegen Abschiebungen und für ein Bleiberecht endete im Herbst 89 in Hamburg mit der Besetzung und polizeilichen Räumung des ehemaligen KZs Neuengamme. An ihrer Situation hat sich nichts geändert. Heute sollen einige von ihnen nach Ex-Jugoslawien „rückgeführt“ werden. Solange Roma und Sinti nur als unerwünschter Ballast in die Schlagzeilen geraten und ihre kulturelle Identität nicht ohne Vorurteile vermittelt werden kann, gelten die Sätze von Barabas: „Normalität haben wir, wenn ich den Zigeuner auch als Mörder darstellen darf. Doch das ist heute unmöglich.“ Zu der Wiederholung hieß es in der Tatort-Redaktion des NDR auf Nachfrage der taz: „Warum nicht, der Film ist doch gründlich diskutiert worden!“ Caroline Schmidt-Gross