: Bürgschaften für geheime Geschäfte
Mit den staatlich verbürgten Hermes-Krediten wird die deutsche Exportwirtschaft subventioniert/ Ein Großteil der finanzierten Projekte richtet in den Entwicklungsländern erhebliche Schäden an ■ Von Uwe Pollmann
Eigentlich müßte die deutsche Kraftwerksunion (KWU) lebensmüde sein. Bis 1996 soll der Atommulti das zweitgrößte Wasserkraftwerk Brasiliens, den Xingó-Damm im Nordosten Brasiliens, mit Generatoren versorgt haben. Mit dem Großprojekt, einem von vier Mammutstaudämmen am 2.700 Kilometer langen Rio São Francisco, will die brasilianische Regierung ihr riesiges Bewässerungsvorhaben für den Gemüse- und Früchteexport mit Strom versorgen. Doch der Staat ist mit 180 Milliarden Mark hilflos verschuldet und kaum zahlungsfähig.
Seit Jahren muß der Siemens-Unternehmensbereich immer wieder erleben, wie die Finanzierung solcher Projekte von Tag zu Tag unsicherer wird. Das brasilianische Atomkraftwerk Angra2 südlich von Rio de Janeiro wurde vor 15 Jahren begonnen; vor vier Jahren wurde der Bau gestoppt. Anfangs sollte der Meiler knapp 12,5 Milliarden Mark kosten, doch bis heute hat er fast sieben Milliarden verschlungen. Und der weltgrößte Itaipu-Staudamm im Süden Brasiliens, für den KWU-Siemens ebenso wie für viele andere Kraftwerke die Generatoren lieferte, hat allein 18 Milliarden Mark gekostet.
Was treibt Siemens da noch zu weiteren Geschäften? Die Antwort ist einfach: „Der komplette Liefer- und Leistungsumfang wird durch die Hermes-Versicherung in Hamburg gedeckt“, so Siemens-Sprecher Hans-Joachim Kudraß. Die Versicherung bestätigt dies indirekt: „Sie können davon ausgehen, daß alle Großprojekte in Dritt-Welt-Ländern bei uns abgesichert werden“, unterstreicht Hermes-Sprecher Holger Andersen.
Rundum-sorglos-Paket durch Bundesbürgschaft
Hermes ist einer der weltgrößten Versicherer für Forderungsausfälle im Ausland. Wird ein Abnehmer zahlungsunfähig, zahlt die Kreditversicherung, die damit deutschen Investoren und Exporteuren für die Dritte Welt eine Art Rundum-sorglos-Paket schafft. Dazu, so der Hermes-Sprecher, gehörten vielerlei Vorhaben — etwa der „Anlagenbau im Irak“ oder „ein Lufthansa-Bau in Peking“.
Doch welche Versicherung ist so töricht, sich ihr eigenes Grab zu schaufeln? Hermes jedoch ist quicklebendig und zahlte für 1991 sogar eine Dividende von 18 Prozent aus. Die Versicherung von Geschäften mit den Dritte-Welt-Staaten würden sie nie übernehmen, erklärt Andersen — die nämlich gehen sämtlich zu Lasten des Bundes. Auf eigene Rechnung versichert die Gesellschaft nur Auslandsgeschäfte „primär in OECD-Ländern“, heißt es. Für den Bund aber prüft man die Vorhaben deutscher Exporteure in Entwicklungsländer und leitet sie an einen interministeriellen Ausschluß in Bonn weiter, dem die Bundesminister für Wirtschaft, Finanzen, Auswärtiges und der Entwicklungshilfeminister angehören. Hier werden dann die wirtschaftlichen Verhältnisse des Landes unter die Lupe genommen, aber auch die Bedeutung des Geschäftes für das deutsche Unternehmen. „Und gegebenenfalls“, so heißt es aus dem federführenden Wirtschaftsministerium, „auch die entwicklungspolitischen und ökologischen Folgen.“
Außenstände von 19 Milliarden Mark
Gebürgt wird vom Staat nicht gerade für geringe Geschäfte. „1991 wurden Exportgeschäfte in Höhe von 37,8 Milliarden Mark durch Bundesdeckungen abgesichert“, heißt es in einem Bericht des Wirtschaftsministers. Welche Geschäfte da mit deutschen Steuergeldern abgesichert werden, steht jedoch unter strenger Geheimhaltung. Selbst Bundestagsabgeordnete erhielten in den letzten Jahren darauf meist nur ausweichende Antworten.
Noch bis Anfang der achtziger Jahre herrschte Stillschweigen über dieses Instrument, das seit 40 Jahren der deutschen Exportförderung dient. Bis dahin deckte sich das Geschäft; doch seit 1983 wachsen die Außenstände des Bundes aus den von Hermes übernommenen Forderungen. Kein Wunder, denn die Versicherungsschäden nahmen durch die Schuldenkrise der Entwicklungsländer rapide zu. Ende 1991 beliefen sich die Außenstände laut Bundeswirtschaftsministerium auf fast 19 Milliarden Mark. Allein 1990 mußte der Bund 2,5 Milliarden und vergangenes Jahr noch einmal zwei Milliarden Mark Steuergelder an Hermes überweisen. Dabei gehörten die GUS-Staaten, das hochverschuldete Brasilien und der Irak zu den Ländern mit den größten Ausfällen. Der überwiegende Teil der Versicherungsschäden ging dabei nicht auf Firmenpleiten, sondern auf Umschuldungen zurück.
Mit den Hermes-Bürgschaften werden Milliardenlöcher in den Bundeshaushalt gerissen. Aber auch in Zukunft, so heißt es im jüngsten Bericht des Wirtschaftsministers, sollen die Exportgarantien weiterlaufen — und das, obwohl überall von Sparmaßnahmen geredet wird und die Opposition in Bonn die Praktiken seit Jahren kritisiert. Selbst in Kreisen der Regierungsparteien sind die Ausfuhrbürgschaft als goldene Subventionen ins Gerede gekommen. Der außenwirtschaftspolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Heinrich Kolb, warnte kürzlich: „Hermes-Bürgschaften dürfen nicht zum Synonym für Finanzgeschenke werden.“
400.000 Arbeitplätze hängen von Hermes ab
Zwar hat die Bonner Regierung angekündigt, die Versicherungsgebühren nun wenigstens nach Länderrisiken zu staffeln und zu erhöhen — eine Reform, die überfällig war, mußten doch viele Versicherte bisher nur ein bis drei Prozent der Geschäftssumme als Versicherungsgebühr zahlen. Doch diese Veränderung rüttelt keinesfalls an den Grundfesten der Ausfuhrbürgschaften.
Immerhin, so rechtfertigt die Regierung die Praxis, sollen die Hermes-Kredite der deutschen Wirtschaft ebenso Märkte in der Dritten Welt eröffnen, wie es in anderen Industrieländern der Fall sei. Auch die Geschäfte etwa mit Rußland müßten abgesichert werden. Von von Hermes gedeckten Exporten hängen über 400.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt ab, errechnete die Universität Mainz im Auftrag des Wirtschaftsministeriums. Vor allem für die am Boden liegenden Ost-Unternehmen, so wird in Bonn argumentiert, seien die Hermes-verbürgten Exporte nach Osteuropa und die GUS-Staaten geradezu lebensnotwenig. Allein fünf Milliarden Mark hat der Bund in diesem Jahr bereitgestellt, um die Exporte von Werften, Kranherstellern und Waggonbauern in die GUS-Staaten abzusichern.
Das Arbeitsplatz-Argument hat jedoch auch einen bitteren Beigeschmack. Es ist nämlich erstaunlich, daß die Hermes-Versicherung in einem ihrer Berichte für den Bund nicht einmal ausschließen konnte, daß auch Rüstungsgeschäfte mit dem Irak über Steuergelder gefördert wurden: „Mit letzter Sicherheit läßt sich diese Frage nicht verneinen“, schrieb der Versicherer.
Auch durch die geförderten Großprojekte würden Menschen und Natur geschädigt, wirft der Hermes- Kritiker und Entwicklungsexperte Walter Ulbrich von der Entwicklungshilfeorganisation „Sozialwerk Campo Limpo“ der Regierung vor. Der Professor vermutet, daß mittels Hermes unter anderem „der Bau von Atom- und Wasserkraftwerken, von Großbewässerungsprojekten, Erschließungsmaßnahmen in Amazonien sowie Verhüttungs- und Aluminiumschmelzen im Carajas-Gebiet in Brasilien“ zustande gekommen seien. Außerdem schaffe die Ausfuhrbürgschaft die Möglichkeit, die armen Länder in weitere Not zu stoßen und zusätzlich zu erpressen. Denn ganz offen rechtfertige die Bonner Regierung die Hermes- Bürgschaften damit, daß man sich das Geld schon wieder zurückhole, erklärt Ulbrich, und zwar immer dann, wenn sich die Gläubigerländer mit den Schuldnern im „Pariser Club“ zu Umschuldungsverhandlungen treffen.
Wer nicht zahlen kann, zahlt Zinsen
Können die Entwicklungsländer die Forderungen aus Hermes-Bürgschaften nicht zurückzahlen, werden sie eben als Schulden mit Zinsen aufgestockt. Wer dafür in der Regel büßen muß, liegt klar auf der Hand: die arme Bevölkerung. Brasilien ist dafür ein gutes Beispiel: Großprojekte wie die gigantischen Staudämme haben viele Menschen vertrieben und in den Slums verarmen lassen. Die Schuldenberge, die sich nicht zuletzt durch derartige Projekte weiter auftürmen, haben zur Folge, daß Löhne und Sozialleistungen gekürzt werden oder im Haushalt für Schulen oder Straßenkinderprogramme kein Geld mehr vorhanden ist.
Die Schulden aus Hermes-Bürgschaften bewirken aber auch, daß bewilligte Entwicklungshilfegelder nicht ausgezahlt werden. Ein Beispiel: Noch auf den letzten Weltwirtschaftsgipfeln forderte Regenwaldkanzler Helmut Kohl ein Programm zur Erhaltung der tropischen Wälder am Amazonas. Die Bundesregierung wollte selbst 250 Millionen Mark bereitstellen, weitgehend in Form von günstigen Krediten. Aber ein Großteil davon wurde gleich wieder gesperrt. „Die brasilianische Regierung hat zur Zeit erhebliche Zahlungsrückstände aus Krediten und bundesverbürgten Handelsforderungen“, heißt es im „Länderbericht Brasilien“ des Entwicklungshilfeministers vom 25.März 1991. Und weiter: „Die Bundesregierung ist nicht bereit, vor der Regelung dieser Zahlungsrückstände Auszahlungen im Rahmen neuer Kredite zu genehmigen.“
„Schlichtweg einen Skandal“ nennt der Entwicklungsexperte Walter Ulbrich dieses undurchsichtige Geschäft, das längst mehr Transparenz verlangt. Daß es den Wohlstand hierzulande sichert, reicht schließlich als Kriterium nicht aus.
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