Bratwurst, Bier und Balalaika

Nach dem Gefechtsalarm das Volksfest: Großenhainer GUS-Flieger luden ihre unbekannten Gastgeber zum Flugtag ein  ■ Aus Großenhain Detlef Krell

Leer sind heute die verwinkelten Gassen in Großenhain, und das Café an der berühmten, von George Bähr errichteten Kirche stellt vergebens seine bunten Stühle aufs Trottoir. Die Garnisonsstadt hat sich feingemacht und pilgert morgens schon zum nahegelegenen Flugplatz. Symbolträchtig lädt an jeder Straßenecke ein Plakat zur großen Schau: Eine MIG vor rotem Fünfzackstern durchbricht den Stacheldraht. Die bei Großenhain, im sächsischen Norden, seit mehr als vierzig Jahren stationierte Fliegerstaffel der Sowjetarmee lädt zum Flugtag ein.

Hinter hohen Mauern erstreckt sich das Kasernenviertel. Die brüchigen Häuser lassen ahnen, wievielen Armeen sie bereits ein Zuhause waren. Seit 1734, weiß ein Einheimischer zu erzählen, ist Großenhain eine Garnisonsstadt. „Ansonsten gab es hier immer noch Textilindustrie. Davon ist uns nichts mehr geblieben.“ Endlich, am Flugplatz dirigieren Westtruppen-Angehörige in Zivil die Autokolonne auf den provisorischen Parkplatz, einer kassiert den satten Eintrittspreis. Am Metallgitterzaun sorgen schwere Jungs der „Security“ aus Frankfurt/Main für geordneten Einmarsch. Sie tragen lila T-Shirts, die ihre üppigen Tätowierungen betonen. Während sie breitbeinig die Billets abreißen, tänzeln die Hunde an der Leine.

Zwei Dutzend MIG-Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Großtransporter stehen auf der Rollbahn verteilt. Zwischen den silbern blinkenden oder matt grünen Rümpfen hat eine Berliner Brauerei ihre Stände aufgebaut, gibt es Gegrilltes und Eis zu kaufen. Am Rande wehen Leggings und Röcke im Sommerschlußwind. Von der Bühne läßt sich Generalmajor Soliwerstow vernehmen. Er trägt heute Felduniform und heißt die „deutschen Freunde“ willkommen. Sie mögen sich „unsere Flugzeuge ansehen und sich mit der Arbeit unserer Piloten vertraut machen.“ Von der politischen Geschichte dieses Ortes spricht der General nicht, auch nicht vom nahen Abschied. Bis Mitte nächsten Jahres soll auch die Großenhainer Staffel nach Hause fliegen. Er wünscht zwei erlebnisreiche Tage „für die Freundschaft zwischen unseren Völkern“. Großenhains Bürgermeister Hoffmann (CDU) dankt für die „schöne Geste, daß wir unseren Flugplatz endlich einmal von innen sehen können“. Die Flugschau sei eine „feine Sache“, in Zukunft würde der Flugplatz für die wirtschaftliche Entwicklung des Ortes „eine große Rolle spielen“.

Währenddessen ist der Sturm auf die Flugzeuge losgebrochen. An jeder MIG drängeln sich die Leute. Väter heben ihre Sprößlinge ins Cockpit, Soldaten stülpen den Kleinen kugelige Pilotenhelme über und lichten das Ereignis mit Polaroid-Kameras ab. Das Foto geht für einige Markstücke an die glücklichen Eltern. Dann steigt der Vater selbst die Leiter hoch und schwingt sich vor die Armaturen. Hier mal drehen und da mal durchgucken, das ist noch besser als im Auto. Spezis sind auch da. „Dort siehst du die Entfernung für den direkten und den indirekten Schuß“, läßt einer seine Wehrdienst- Kenntnisse heraus. Eine junge Mutter schiebt den Kinderwagen in den Bauch des Großtransporters, der geräumig ist wie eine Turnhalle. Verlegen schaut ein junger Soldat auf die lautstark gestikulierenden Massen. Mädchen sind auch gekommen. Doch leider pfeift sein Kumpel nach ihm, der sich am Trödelstand eine Plastik-MP gekauft hat und Publikum für den ersten Schuß braucht.

Eine Familie mit zwei Kindern kann hier für Eintritt, Rundflug, Erinnerungsfoto und Bratwurst locker 200 DM ausgeben. Trotz der gepfefferten Preise stehen überall Schlangen. Alle zehn Minuten wechselt einer der beiden Kampfhubschrauber seine Ladung. Junge und Alte, ganze Familien starten zu einem Flug über den Platz und die Stadt. Eine Frau, die der Familie in die tiefhängenden Wolken nachwinkt, meint, das wäre „eine wunderbare Sache, besonders für die Kinder“. Deshalb seien sie extra aus Dresden angereist. In der Menge freut sich ein offenbar Einheimischer: „Heute können wir unsere neue Hoffnung mal von oben angucken!“

Von der Bühne klingt die Balalaika. Russische Folklore und der deutsche „Vugelbeerbaam“. Das Garnisons-Ensemble „Poljet“ hält die Stimmung hoch, bis die Vorführungen in der Luft beginnen. Dröhnend steigt eine Libelle auf und zieht die Leute zum Spalier an den Zaun. Der Hubschrauber tänzelt, hüpft, läßt sein Maschinengewehr wippen, rast unvermittelt davon. Nach diesem Vorspiel tobt sich ein Düsenjäger aus. „Technik, die begeistert“, freut sich ein Vorruheständler. „Ich bin Flugzeugfan, habe schon bei den Nazis am Straßenrand gestanden und geguckt. Schade, daß heute keine Verbände fliegen.“