Der internationalen Müllmafia auf der Spur

Berlin (taz) — Die beiden in der vergangenen Woche bekannt gewordenen Skandale um die illegale Entsorgung von Sondermüll aus Westdeutschland beziehungsweise Berlin ziehen immer weitere Kreise. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft ist bei ihren Ermittlungen jetzt bis in das Mainzer Umweltministerium vorgedrungen. Sie durchsuchte die Diensträume und die Privatwohnung von Werner Theis, dem Büroleiter der rheinland-pfälzischen Umweltministerin Klaudia Martini (SPD). Bei der Aktion dürfte auch eine alte Müllaffäre um 20.000 Tonnen Sonderabfälle eine Rolle spielen, die Anfang ‘91 illegal in eine Lavagrube in der Eifel gebracht worden waren. Sie hatte zu einigem Ärger zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz geführt. Bislang waren vor allem in Hessen Landes- und Kommunalbeamte der Zusammenarbeit mit der Müllmafia bezichtigt worden. Dort, aber auch in anderen westdeutschen Bundesländern, hatte die Polizei am Freitag über 60 Firmen, Behörden und Privatwohnungen durchsucht und dabei in Frankfurt drei Betriebsleiter festgenommen. Sie gehören offenbar zu einem bundesweit operierenden Ring von Giftmüllschiebern, der tausende Tonnen von hochgiftigem Sondermüll illegal in Kiesgruben, Deponien oder Wasserschutzgebiete gekippt haben soll.

Ebenfalls drei Verhaftungen gab es im Fall um die widerrechtlich nach Ostfrankreich abgeschobenen Klinikabfälle aus dem Raum Berlin. Die französische Polizei nahm am Wochenende den Chef der zuständigen Abfallverwertungsfirma Sodex fest. Erste Erkenntnis: Für den von ihr gepachteten Steinbruch bei Chaumont, wo ein deutscher Laster seine Ladung — abgepacktes Blut, Injektionsspritzen und Dialysematerial — deponierte, hatte die Sodex keine Entsorgungsgenehmigung. Der Besitzer dieses Geländes ist inzwischen ebenfalls in Haft. Die Sodex soll mit verschiedenen deutschen Unternehmen Verträge über die Abnahme von täglich rund zehn Mülltransporten geschlossen haben. Für den Transport ab der Grenze wurde die Gesellschaft Concorde International eingeschaltet. Auch deren Chef sitzt seit Sonntag hinter Gittern. Die zuständige Staatsanwältin Beatrice Dupuis: „Wir haben erst die Spitze des Eisbergs entdeckt. Es ist möglich, daß wir es mit einem riesigen internationalen Müllschmuggel zu tun haben“.

Als erste Reaktion auf die Aufdeckung der illegalen Müllfracht hat die Pariser Regierung am Wochenende die Kontrollen an der Grenze zur Bundesrepublik verschärft. Die französische Umweltministerin Royal machte unterdessen die ihrer Ansicht nach zu strenge Abfallvorschriften in der BRD für Müllexporte in die Nachbarländer verantwortlich. Ende dieses Monats wolle sie wegen der Vorfälle mit ihrem deutschen Amtskollegen Klaus Töpfer eine neue Verordnung erörtern, mit der jegliche Einfuhr von Hausmüll gestoppt werden soll. Bislang ist Frankreich nach Angaben der Zeitung Journal du Dimanche ein Mekka für deutschen Hausmüll: Während die Entsorgung einer Tonne in der BRD mehr als 1.500 Mark koste, schlage sie in Frankreich lediglich mit 120 Mark zu Buche. Udo Bünnagel