Im Mittelpunkt steht die eigene Identität

■ Warum in El Salvador Kooperativen unterstützen, wenn die "Dritte Welt" gleich nebenan in den neuen Bundesländern beginnt? Die deutsche Solidaritätsszene wurstelt zwischen dem Festhalten an...

Im Mittelpunkt steht die eigene Identität Warum in El Salvador Kooperativen unterstützen, wenn die „Dritte Welt“ gleich nebenan in den neuen Bundesländern beginnt? Die deutsche Solidaritätsszene wurstelt — zwischen dem Festhalten an traditionellen Strukturen und der Suche nach neuen Aufgaben.

Meine Interessen haben sich geändert. Bitte schickt mir keine Informationen mehr.“ Eine knappe Mitteilung per Postkarte an den Kreuzberger Verein zur Förderung der Städtepartnerschaft mit dem nicaraguanischen San Rafael del Sur. Knapp fünf Jahre ist es her, daß die Schreiberin mit einer Arbeitsbrigade in Nicaragua im schier aussichtslosen Kampf gegen Flöhe und Hitze die Revolution hatte unterstützen wollen. Die Karte ist symptomatisch. Die Solidaritätsbewegung steckt in der Krise.

Unterschiedlichen Konjunkturen ausgesetzt, hatten sich die Ländervorlieben der Bewegung in den letzten Jahrzehnten oft geändert. Der Vorwurf, die Unfähigkeit zur Veränderung im eigenen Land auf die Befreiungsbewegungen der sogenannten „Dritten Welt“ zu projizieren, ließ nicht auf sich warten. Aber immerhin, das Hoch auf die Internationale Solidarität gehörte ungebrochen zum Standardrepertoire bundesdeutscher Demonstrationskultur.

Im Jahre drei nach dem Mauerfall ist das ganze schwieriger geworden. Die Auseinandersetzungen im Osten Europas bestimmen die Medienlandschaft, bereiten der Bewegung aber eher Argumentationsschwierigkeiten, als daß sie Anknüpfungspunkte bieten. Noch 1988 war anläßlich der Kampagne gegen die Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank viel von einem „Neuen Internationalismus“ gesprochen worden. Es sollte der Auftakt zu einer „strategisch orientierten politischen Zusammenarbeit oppositioneller Bewegungen auf internationaler Ebene“ sein. Doch der dahinterstehende Anspruch, die Solidaritätsbewegung müsse sich auf die Arbeit vor der eigenen Haustür konzentrieren, gegen „die bundesdeutschen Banken und Konzerne sowie eine Politik, die deren Interessen in diesem Land absichert“, blieb schon vor dem Mauerfall nicht eingelöst. Dies wohl nicht nur, weil das eben schwerer zu machen ist als die Unterstützung einer Kooperative im Land XY.

Sandinistas in Schlips und Kragen

Irritierend wirkte auch, daß Befreiungsbewegungen aus der „Dritten Welt“ zunehmend jene Institutionen als willkommene Ansprechpartner suchten, die von der Bewegung hier bekämpft werden sollten. Zwar konnte das mit Zwängen erklärt und als Symptom der ungerechten Weltwirtschaftsstrukturen begriffen werden. Doch lösten sandinistische Verhandlungsdelegationen, die in Schlips und Kragen bei Bundeskanzler Kohl um Finanzhilfe baten oder Willy Brandt um Aufnahme in die Sozialistische Internationale ersuchten, eben doch nicht dieselben Begeisterungsstürme aus wie einst die siegreich aus den Bergen zurückkehrenden Guerilleras und Guerilleros.

Die Bewegung krankte an ihrer Identifikation über Dritte. Reines Sprachrohr für politische Parteien oder Befreiungsbewegungen aus der „Dritten Welt“ will heute niemand mehr sein. So ist es kein Wunder, daß nicht mehr die Politik dieser oder jener Organisation im Vordergrund der Debatten steht. Bei der Suche nach neuen Formen und Inhalten spielt die eigene Befindlichkeit der metropolitanen Bewegung eine bestimmendere Rolle. Die Perspektivkrise der Linken hat vor der Solidaritätsbewegung nicht haltgemacht. Diskussionen in den einschlägigen Zeitschriften drehen sich nicht mehr darum, wie der Imperialismus am wirkungsvollsten zu bekämpfen sei. Im Mittelpunkt steht heute vielmehr die Frage nach der eigenen Identität.

Zu Zeiten, als sich am europäischen Kräftegefüge nichts mehr zu ändern schien und die politischen Konflikte auf die Länder der „Dritten Welt“ verlagert waren, wo sich die Unfähigkeit des Kapitalismus zur globalen Problemlösung zeigte, da war die „Dritte-Welt“-Bewegung politisch adäquat. Als eine Art „Arbeitsgruppe der Linken“ etablierten sich viele ExpertInnen, zuständig für die Probleme fremder Länder. Heute konzentriert sich die Welt auf andere Regionen. Wer noch zu Nicaragua, Südafrika, El Salvador oder gar Osttimor arbeitet, wirkt in zunehmendem Maße exotisch. Begründungen für ein solches Engagement lassen sich zwar aus der Situation der jeweiligen Länder finden, immer weniger jedoch aus der hiesigen Realität. Zwar ist ausgerechnet die Banane, jahrelanges Schulbeispiel für die Ausbeutung von „Dritte-Welt“- Ökonomien durch den Norden, zum heimlichen Symbol der deutschen Einheit geworden. Doch drängt der Alltag die wiedervereinigten Deutschen nicht gerade zum Einsatz für die Rechte der BananenarbeiterInnen in fernen Ländern.

„Dritte Welt“ beginnt heute vor der Haustür

Warum in El Salvador Kooperativen der FMLN unterstützen, wo die „Dritte Welt“ direkt vor der eigenen Haustür beginnt? Warum die Macken des Kapitalismus am Beispiel Nicaraguas aufzeigen, wo sich diese in den neuen Bundesländern tagtäglich manifestieren? Warum Rassismus in Südafrika anprangern, wenn Skinhead-Überfälle auf AsylbewerberInnen mitten in Deutschland zur Tagesordnung gehören?

So wurstelt denn die Szene zwischen dem Festhalten an den geschaffenen Strukturen und der Suche nach Neuem herum. Die „Kampagne“ zum 500.Jahrestag der spanischen Eroberung Amerikas bewegt sich konsequent auf traditionellem Terrain — politische Brisanz hat sie in der Bundesrepublik nicht entfalten können. Und auch die Aktionen zum Weltwirtschaftsgipfel in München konnten an die inhaltliche Arbeit der Anti-IWF-Kampagne kaum anknüpfen. Lediglich Streibls Greiftruppen brachten dem Ereignis Publizität.

Gruppen wie das Berliner Zentralamerika-Komitee, lange Zeit aktiv in der Nicaragua- und El-Salvador-Solidarität, haben ihre Schlüsse gezogen. Als Zusammenhang von Menschen nach wie vor existent, unterstützen sie heute Flüchtlinge hier in Deutschland. Sie sind sich selbst nicht sicher, ob diese Arbeit „noch internationalistisch“ ist.

Sollte sich diese Tendenz durchsetzen, wird der Bewegung ein Vorwurf nicht erspart bleiben: Jene Menschen in Lateinamerika, Afrika und Asien, die in der Solidaritätsszene eine solide Bündnispartnerin zu haben glaubten, werden enttäuscht sein über die Abkehr. Denn ihre Situation hat sich wenig geändert, nur etwas abgeklärter sind sie geworden. Bernd Pickert