WAND UND BODEN
: Lerne, nicht nach innen zu fallen

■ Kunst in Berlin jetzt: Summer Show, Jaschi Klein, Michael Ramsden

Supershows und Kammerspiele: Während die großen Museen und Sammlungen der Welt Touristen mit berühmten Namen nach London, Kassel oder Paris locken, mißt das daheimgebliebene Publikum den sommerlichen Gruppenausstellungen im alltäglichen Galeriebetrieb nur einen marginalen Wert bei. Die Ränder aber konstituieren den Gegenstand. Nur dort kann ein Beuys bei aller Schwere seines Spätwerks neben luftig-leicht verspielten Kissenbezügen von Franz Erhard Walther bestehen oder ein wunderbar beiläufig komponiertes Aquarell von Gerhard Richter mit der strengen Materialästethik Imi Knoebels korrespondieren. Das private Ambiente der Galerie gibt der Künstlergruppe ihre Gesprächigkeit zurück, der Blick fließt zwischen den verschiedenen Bildern, anstatt sich an der Saturiertheit des Meisterwerks festzubeißen. In der Galerie Till Haderek/Klaus Fischer ist den Aushängeschildern der klassischen Moderne made in Germany der museale Pomp genommen. Behutsam gehängt, erhalten die Exponate ihre Nahbarkeit zurück. Felix Droese bezeugt in zwei kleinformatigen Zeichnungen das labile Verhältnis zwischen abstrakter Geste und verletzter Form, das seinen überbordenden Installationen andernorts kaum noch anzumerken ist oder unter dem Aufwand historischer Bezüge verschüttet wurde. Hier steht man noch einmal an der Schwelle zur Gegenwart.

Summer Show, bis 29.8., Friedbergstraße 34, Di.-Fr. 14-19 Uhr, Sa. 11-14 Uhr

Die Fotoinszenierungen von Jaschi Klein verbleiben auf dem Boden der Realität, auch wenn sie in der Galerie Bodo Niemann als Transformationen ausgestellt werden. Klein umgibt eine Vielzahl von Tieren mit märchenhaften Schleiern und Masken. Geißböckchen hat sie Federn angeheftet, Schafe tragen archaische Kunsthörner. Ein Pferd bekommt für die Fotosession Flügel und agiert als trauriger Pegasus in einer verfallenen Industrieanlage. Die sonst grazile und springlebendige Kreatur scheint auf diesen Bildern in die Natur gestellt, aber von ihr losgelöst. Im Grunde verfügt jedoch nur die Kamera über das Moment der gestalteten Tragödie. Als wollte Klein Standbilder zu Geschichten verbinden, werden Situationen aneinandergereiht, die ihre Machbarkeit eher der animalischen Geduld verdanken als der stillen Übereinstimmung zwischen dem Modell und der Künstlerin. Andererseits rettet aber gerade die umgebende Landschaft das Szenario vor dem Abdriften ins plump spektakuläre Klischee. Nie wird das Vieh zur Parodie des Menschen. Abgegraste Weiden und ausgedörrte Knicks nehmen vielmehr den Anschein der sorgsam gewählten Bühne zurück. Die surreale Pose gerät durch das unverrückbare Panorama ins Wanken, so daß auch Pferd, Schaf und Ziegenbock sich wieder in der ihnen eigentümlichen Natur einrichten können. Sie haben am Ende eine erzählerische Transformation im mythologischen Kontext durchlaufen. Anders als auf den Fotos von William Wegman verwachsen die Tiere nicht mit der ihnen aufgebürdeten Rolle: sie rebellieren stumm. Schon im nächsten Augenblick werden sie beißen.

Bis 12.9., Knesebeckstraße 30, Di.-Fr. 12-18 Uhr, Sa. 11-14 Uhr.

Kunst an merkwürdig fremden Orten: im 13. Stockwerk der AOK, auf dem ehemaligen Grenzstreifen, im Parkdeck des Kaufhaus des Westens... Um die Galerie 207 zu besuchen, muß man auf den Fernsehturm am Alex. Oben angelangt, dreht das Telecafé seine Gäste schneller als vor der Wende und beschleunigt das Schwindelgefühl. Rund um das inwendige Gemäuer hat Michael Ramsden ein wenig gehässig Bilder und Skulpturen unter dem Motto »Problems of Height« installiert. Nun mag Galileo Galilei in erster Linie Schwierigkeiten mit der Inquisition gehabt haben — bei Ramsden macht die Höhe Angst. Der Grund dafür ist entsetzlich einfach: Ein Blumentopf fällt von oben auf die Erde und geht kaputt, eine mit ihm stürzende Hausfrau ereilt das gleiche Schicksal. Von ihrem Fall hat Ramsden ausschnitthafte Zeitungsphotos reproduziert. Kopf, Rumpf, Arme und Beine trennen sich allmählich auf dem Weg in die Tiefe. Der Weg aus der Katastrophe führt den Künstler in die Poesie der Transzendenz. Lerne, nicht nach innen zu fallen. Verschiedene solcher Übungen hat Ramsden klar figurativ aus Ton und Gips geknetet, in Holz geschnitzt und in Bronze gegossen. Aus einer Kiste hat er das Herzstück herausgebrochen, das nun über der Stele schwebt. Der Witz könnte von Magritte stammen, wäre das Objekt eine augenzwinkernde Idolatrie, die ironische Brechung des metaphysisch abgehobenen Felsens angesichts seines zeichenhaften Ursprungs. Doch das Schaustück heißt »Geist« und verspricht nur Bild für ein anderes zu sein. In den himmlischen Höhen des Ausstellungsortes gerät die Ordnung der Dinge aus den Fugen und wird zum Agenten einer nicht mehr weltlichen (Er)lösung vom »Problem der Höhe«. In der Arbeit »Angst eines Künstlers als junger Mann« stellt eine kaum gespannte Hängebrücke zwischen zwei Sperrholzpodesten den zutiefst religiösen Grund des Bekenntnisses dar. Die meisten Gäste halten es dagegen mit Nietzsche und nehmen den nächsten Fahrstuhl nach unten. Dort geben sich Paare im Bahnhofseingang einen Abschiedskuß, als gäbe es kein Wiedersehen.

Bis 31.8., Alexanderplatz, täglich 9-23.30 Uhr. Harald Fricke