Kampf der Reichen: Banken gegen Mafia

Japans Börse wartet auf den Offenbarungseid der großen Banken/ Die Tokioter Broker resignieren  ■ Aus Tokio Georg Blume

„Der Markt hat sich mit seinem Niedergang abgefunden“, gesteht Hideaki Akimoto, Chefökonom beim japanischen Wertpapierhaus Daiwa. Gemeint ist das Schicksal der einst stärksten Börse der Welt. Der Wertverlust an der Tokioter Börse, 62 Prozent in gut zweieinhalb Jahren, ist längst ohne historischen Vergleich. Nach den schweren Einbrüchen in der letzten Woche lag der Nikkei-Index auch gestern knapp unter der psychologisch wichtigen 15.000-Punkte-Marke. Japan, wirtschaftlich immer noch erfolgreicher als alle anderen Industrienationen, steckt in der schwersten Finanzkrise seit den Nachkriegsjahren.

„Die Hauptquelle für die Schwäche der Aktienpreise liegt heute außerhalb der Börse“, stellt Japans führende Wirtschaftszeitung Nihon Keizai fest. „Solange die Zeitbombe der inflationären Grundstückspreise nicht entschärft ist, werden alle anderen Maßnahmen zur Belebung des Aktienmarkts bedeutungslos sein.“

Tatsächlich haben die Aktienpreise bereits wieder ihr Niveau erreicht, das sie vor der japanischen Spekulationswelle innehielten. Ganz anders sieht es jedoch bei den Bodenpreisen aus. Der Wahnwitz, daß das Grundstück des japanischen Kaiserpalasts im Tokioter Zentrum mehr wert ist als ganz Kalifornien, dauert nämlich fort. So stehen den Kapitalgewinnen über 12 Billionen Mark, die in Japan seit 1985 mit Grund und Boden erzielt wurden, bisher nur Kapitalverluste von 1,24 Billionen Mark gegenüber. Mit anderen Worten: Von den Spekulationsgeschäften mit Grundstücken ist bisher gerade ein Zehntel abgewickelt.

„Jetzt kämpfen die alten Reichen gegen die neuen Reichen“, meint Folker Streib, Präsident der deutschen Handelskammer in Tokio. Streib erkennt darin „einen Reinigungsprozeß zwischen den Banken und der Mafia“. Die gewagten Worte treffen den Kern der Krise: Heute versuchen die Banken verzweifelt ihre Milliardenkredite einzutreiben, die sie gegen hochgeschätzten Landbesitz in den achtziger Jahren verliehen. Die Yakuza-Gangster, Nippons Mafiosi, hatten ihr bestes Geschäft nämlich darin entdeckt, kostbares Stadtland von kleinen Privatbesitzern freizupressen, es an befreundete Firmen mit unverfänglichem Namen zu übergeben, um somit das Geld der Banken einzufangen. Fragen die Banken heute bei dieser Kundschaft nach, können sie meist nur noch den Bankrott der Firma feststellen. Gerade deshalb aber lassen die Banken ihre Gläubiger nicht auffliegen. Denn würden alle Konkurs anmelden und ihren Besitz veräußern, dann wäre der Kaiserpalast bald nur noch so viel wie San Francisco wert, und die Banken müßten alle Hoffnung auf die Rückerstattung ihrer Kredite aufgeben.

„Die nicht mehr einziehbaren Außenstände der zehn führenden Banken dürften sich inzwischen auf mindestens 20 Billionen Yen (rund 230 Mrd. Mark) belaufen“, rechnet Takaharu Nakamura, Commerzbank- Manager in Tokio, vor. „Die Profite der gleichen Banken aber liegen bei nur 1,9 Billionen Yen. Die fehlende Kreditsumme läßt sich also sehr schwer abwickeln.“

Das eigentliche Problem benennt aber auch Nakamura nicht: Denn niemand weiß überhaupt, auf welche Summen sich die faulen Kredite der Banken letztendlich belaufen. Die Zahl, die der Banker nennt — 230 Milliarden Mark Verlust für die großen Banken —, ist nur eine Schätzung unter vielen. Das Finanzministerium spricht dagegen von Kreditverlusten aller Banken über 90 Milliarden Mark; die Deutsche Bank hält uneinholbare Außenstände über bis zu 800 Milliarden Mark für denkbar.

Bei den uneinholbaren Kreditsummen handelt es sich jedoch wahrscheinlich um Beträge, die mühelos das Wachstum der gesamten japanischen Volkswirtschaft über mehrere Jahre schlucken können. Kein Wunder also, wenn sich die Investoren an der Börse zieren. „Eine Rückkehr zur Ordnung ist nur möglich“, warnt Nihon Keizai, „wenn die Banken ihre nicht einziehbaren Außenstände veröffentlichen.“