Wer darf sagen, wie's in Italien steht?

Nach der Herabstufung durch „Moody's“ in die „4.Liga“ herrscht Aufregung südlich des Brenners/ Sanierungs-Satiren machen das Land zum Sorgenkind der EG/ Haushalt nach dem Prinzip Hoffnung  ■ Aus Rom Werner Raith

Italiens Finanzminister Giovanni Goria versteht die Welt nicht mehr — oder tut jedenfalls so. „Gerade jetzt“, murrt er, „mußten die das tun...“ „Die“, das sind die Experten von „Moody's“, des angesehensten Wirtschaftsinstituts der USA. Moody's hatte Ende letzter Woche Italien die Einstufung in die Klasse der honorigsten und ökonomisch stärksten Länder der Welt entzogen — aus der Klassifizierung AA1 purzelte das Land nicht nur in die für ein G-7- Mitgliedsland schon diskriminierende AA2, sondern noch weiter hinunter in AA3: „Abgeschoben in die vierte Liga“ setzte die industrienahe Tageszeitung La Stampa noch eins drauf und verwies auf den deprimierendsten aller Aspekte: „Sogar Spanien ist jetzt ökonomisch vertrauenswürdiger als wir.“

Finanzminister Goria und mit ihm Notenbankpräsident Carlo Azeglio Ciampi — ansonsten kein Lamentierer, sondern ein Warner — bemängelten dabei weniger die Tatsache der Rückstufung, als vielmehr den Zeitpunkt: „Ausgerechnet wo wir wirklich ernst machen, einen soliden Haushalt vorlegen und unseren Landsleuten so viele Opfer abverlangt haben...“

Das alles stimmt — und stimmt auch wieder nicht; und gerade das ist es wohl, was Moody's nun endgültig den Kragen hat platzen lassen: Wie oft schon, so Punkt eins der Kritik aus den USA, habe „die Regierung Konsolidierung versprochen“ — doch diese kam nie: aus früheren Reden des derzeitigen Regierungschefs Amato, der vor drei Jahren Schatzminister war, lassen sich mindestens vier Dutzend solcher Sprüche zitieren. Daraus war allerdings nicht der geringste Sanierungseffekt entstanden. Punkt zwei: die „Abgabenopfer“ — wenn sie denn auch realisiert würden. Tatsächlich klafft für Moody's auch hier die „große, immer wieder zu überbrücken versprochene Lücke“: Umgerechnet 110 Milliarden Mark will der italienische Fiskus durch neue Steuern und Verscherbeln von Staatseigentum in den laufenden Haushalt einbringen. Zur Ader gelassen werden Sparbücher und offene Konten, Häuslebesitzer und Mieter, Benzinbezieher und Zweit-Telefon-Benutzer; verkauft werden sollen die Perlen der staatlichen Dienstleistungs- und Industriebetriebe.

Doch schon die ersten Schritte des Manövers gerieten zur üblichen Satire. Die großangekündigte „Umwandlung der Staatsindustrie in Aktiengesellschaft und Verkauf auf den internationalen Märkten“ erwies sich als Flop. Nicht nur, daß die meisten dieser Betriebe bereits Aktiengesellschaften waren, auch das zähe Festhalten des Staates an seiner 51-Prozent-Mehrheit nahm potentiellen Käufern schnell die Lust. Zu allem Überfluß bestätigte die Regierung dann auch noch die derzeitigen Führungsspitzen der Unternehmen in ihren Ämtern, was wiederum das Vertrauen in die Ernsthaftigkeit einer „privatwirtschaftlichen“ Wende störte.

Ebenso daneben gingen die Eintreibeversuche bei den Bürgern. Lauthals hatte die Regierung immer wieder die Einführung einer — bisher unbekannten — Vermögenssteuer auf Kapitalien und Immobilien dementiert. Aber zumindest den Spekulanten war dabei längst klar, daß dieser Obolus nun wirklich gefordert werde. Erfolg: die Konten waren schnell leergeräumt. Dann kam er, der „Coup, den niemand erwartet hatte“, so der blauäugige Spruch des Finanzministers. Am 10.Juli wurde die Besteuerung aller am 9.Juli 1992 auf Konten und im Kataster eingetragenen Vermögen verkündet, worauf ein geradezu slapstickwürdiger Run auf Banken und Katasterämter begann. Schnellschnell lösten Hunderttausende von Italienern ihre Sparbücher und offenen Konten auf. Die von der Regierung losgeschickten Rundschreiben, die genau dies verboten, bis der Steuerabzug vorgenommen war, kamen erst Tage danach an den Schaltern an.

Trotz der Sommerhitze bildeten sich auch vor den Katasterämtern mehrere hundert Meter lange Schlangen, weil die Häuschenbesitzer herausbekommen wollten, wie hoch ihr Einheitswert und damit der abzuführende Satz von zwei (fürs erste Haus) beziehungsweise drei Promille (für alle weiteren Gebäude) sein würde. Doch die Grundbuchämter konnten beim größten Teil der Nachfragen gar nicht weiterhelfen: Fünf Jahre zuvor hatte der Staat angesichts der angehäuften mehr als zehn Millionen Schwarzbauten beziehungsweise Schwarz-Umbauten eine Art Amnestie verkündet, unter der Voraussetzung, daß man sich selbst anzeigte, den Bau oder Umbau ins Kataster eintragen ließ und eine festgelegte Buße bezahlte. Mit dem Berg von Selbstanzeigen (obwohl nur ein Drittel der Illegalen Gebrauch von dem Angebot machte) sind die Ämter aber bis heute noch nicht einmal zu einem Viertel durch. Die Konsequenz, die Moody's natürlich nicht entgangen ist: Bis die neue Haussteuer in dem vorgesehenen Umfang eingezogen ist, werden noch Jahre vergehen. Schlimmer noch: da die Hälfte des Immobilien- Aderlasses gesetzlich auf die Mieter umgelegt werden kann, sehen Experten bereits eine Lawine von Prozessen voraus, wenn sich Hausbesitzer und Hausbewohner nicht über den Katasterwert einigen können.

Nun soll eine „Do it yourself“- Broschüre des Finanzamtes abhelfen: Da werden die Einzelheiten des Eigentums abgefragt, von Baujahr über Quadratmeterzahl bis zu den Elektroanschlüssen. Danach kann der Hausbesitzer den Einheitswert selbst ausrechnen, so jedenfalls der fromme Glaube des Finanzministers. Nachteil eins: von dem famosen Heftchen gibt es bisher nur das Deckblatt, doch schon im September sollen die Steuern bezahlt werden. Nachteil zwei: „Der Finanzminister kann sich doch wohl nicht einbilden“, so der Ökonomieprofessor Baldassare, „daß auch nur ein gestandener Italiener die Angaben wahrheitsgemäß einträgt.“ Das aber bedeutet, daß sich der Staat entweder mit wesentlich weniger Einnahmen als angesetzt zufrieden geben muß, weil die Eigentümer hier ein paar Quadratmeter, dort ein paar Stromsteckdosen abgezogen haben — oder er muß ein Heer von Beamten losschicken, die die Angaben überprüfen, was wiederum eine enorme Belastung des Staatshaushaltes darstellen würde.

Moody's jedenfalls läßt die Kritik der Italiener an sich abprallen: „Als wir bereits vor drei Jahren darauf hinwiesen, daß die italienische Ökonomie wackelt“, so einer der Europaexperten des Hauses, „hieß es, ihr wollt wohl die gerade boomende Wirtschaft kaputtmachen. Vor zwei Jahren, als die Krisensymptome schon deutlicher waren, liefen uns die Minister die Bude ein und beschworen uns, doch nicht gerade jetzt, wo es bald leichte Zeichen der Erholung geben könne, einen derart psychologisch kritischen Schritt zu tun. Als wir vor einem halben Jahr wieder auf die Lage hinwiesen, hieß es, jetzt ist gerade Wahlkampf, ihr wollt euch doch da nicht einmischen. Als wir es im Mai versuchten, wurden wir beschuldigt, gerade während der innenpolitisch instabilen Phase der Wahl des Staatspräsidenten und der Regierungsbildung Schwierigkeiten machen zu wollen. Ende Mai war es die Mafia mit ihren Morden, der wir angeblich Vorschub leisten würden — ja wann denn, zum Teufel, darf man sagen, wie's in Italien wirklich steht?“ Eine gute Frage.