Breite Front gegen die Bundeswehr

Sachsen-Anhalt übt parteiübergreifenden Widerstand gegen Militärgelände in der Colbitz-Letzlinger Heide/ Entscheidung wird im Herbst erwartet/ Wasserschutz und Brandgefahr/ Bundeswehr lockt Ortsbürgermeister mit Rundflügen  ■ Aus Magdeburg Heide Platen

Die drei Lindenblätter im Wappen von Colbitz, am Rande der Colbitz- Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt, recken sich zierlich auf rotem Grund. Der Wind wirbelt, heidegerecht, Sandwolken durch die Straßen, das Gemeindehaus neben der Kirche wird gerade renoviert. Und überall stehen die Linden im Ort. Ein schmaler Weg führt hinter Colbitz in den größten noch erhaltenen Lindenwald Europas, wohin die Imker jedes Jahr mit ihren Bienenstöcken kommen. Der Honigsommer war süß in diesem Jahr. Auf ihren Lindenwald sind die Colbitzer stolz. Er steht am Rande des 23.000 Hektar großen Gebietes, das seit 1935 ununterbrochen als Militärgelände genutzt wurde. Da ging es den Letzlingern im Westen des Wald- und Heidelandes, durch dessen Mitte sich seit 1936 eine kilometerlange Schießbahn zieht, schlechter. Sie verloren ihre vielhundertjährigen Eichen durch einen Federstrich der Honecker-Regierung. Die faulenden Reste der Bäume liegen noch heute im Wald. Die umliegenden Gemeinden haben seit dem vergangenen Jahr dagegen mobil gemacht, daß die Bundeswehr nach dem Abzug der GUS-Truppen Ende 1994 hier Einzug hält und 20.000 Hektar für sich beansprucht. Der Rest soll bewaldete „Pufferzone“ werden. Das Gelände ist gleichzeitig Wasserreservoir für 600.000 Menschen. Und: „Über 40 Jahre Militär, das reicht. Die Menschen haben einfach genug davon.“ Die Bonner Hardthöhe und Verteidigungsminister Volker Rühe sind da ganz anderer Meinung. Sie bekräftigten immer wieder, daß sie nicht verzichten wollen. Die endgültige Entscheidung soll im Herbst fallen.

Daß der Wald auch ohne den vorhersehbaren politischen Krach zwischen dem Land Sachsen-Anhalt und der Bundesregierung jede Menge realen Sprengstoff birgt, merken die AnwohnerInnen jedes Jahr im Sommer. Anfang August brannten bei Dolle wieder einmal 25 Hektar Kiefern- und Birkenwald auf dem Schießplatz der GUS ab. Revierförster Peine weiß, daß das Löschen immer mit Lebensgefahr verbunden ist. Auch diesmal detonierte großkalibrige Munition. Was sonst noch alles im Wald herumliegt, ist nur zu vermuten. Am Forsthaus ist Brandstufe 2 angezeigt. Revierförster Peine hat Bereitschaftsdienst. Er erinnert sich gut daran, daß es zu DDR-Zeiten viel häufiger gebrannt hat, „manchmal zehn- bis zwölfmal täglich“, und daß das Löschen wegen der „Geheimhaltung“ schwieriger war. Die örtlichen Feuerwehren durften nur auf Befehl der Militärs ausrücken. Die zerstörten Flächen konnten nicht wieder aufgeforstet werden. Die UdSSR- Soldaten halfen bei der Brandbekämpfung. Nur: „Die hatten ja kein Gerät. Die kamen zwar mit 20 Mann, konnten aber nur mit Zweigen oder ihren Jacken löschen. Die hatten nicht mal Spaten.“

Pfarrer Dieter Kerntopf ist zuversichtlich. Die Unterschriftensammlung ist inzwischen auf 60.000 Namen angewachsen, der Widerstand an der Basis ungebrochen und „das Selbstbewußtsein der Ossis — auch der Abgeordneten — wächst“. Zum Kirchentag wird „vor einer großen Öffentlichkeit“ eine Resolution verlesen werden. Die Feuchtgebiete, die in Eigeninitiative renaturiert worden sind, erholen sich langsam.

Auch in der Nachbargemeinde wird viel getan. Für Ende August laden die Ortskirche und der Heimatverband gemeinsam zu Gottesdienst, Feier und Demonstration. Sie haben Hans-Dietrich Genscher und einen Sproß des Hauses Hohenzollern eingeladen. Das mag ein Fingerzeig auf die Besitzverhältnisse des Geländes sein, in das die deutschen Kaiser auf dem Königsweg, jetzt Militärzufahrt, zur Jagd auf Rotwild und Rehe ritten. Der Bund betrachtet sich als rechtmäßiger Besitzer aller Militärgelände, das Land sieht sich als Rechtsnachfolger des 1945 aufgelösten Landes Preußen.

Bis jetzt setzt der Pressesprecher von Ministerpräsident Werner Münch (CDU) allerdings noch „auf eine politische Lösung“. Innenminister Hartmut Perschau zeigt ebenfalls Flagge. Und Umweltminister Wolfgang Rauls (FDP) radelt nicht nur bei Demonstrationen vorneweg. Er fordert eine Volksabstimmung.

Die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium haben angesichts der breiten Landes-Front gegen sie zugesagt, daß weiter Gespräche geführt werden. Aber: „Der Verteidigungsminister hält die vorgesehene Nutzung allerdings für einen ganz zentralen Eckpunkt des gesamten Übungsplatzkonzeptes.“ Das sehe auch die Schaffung von 1.600 zivilen und militärischen Arbeitsplätzen vor. Außerdem empfiehlt sich die Bundeswehr als ausgewiesene Arten- und Naturschützerin. Allein der möglichen Grundwassergefährdung hat sie 14 Seiten in einer Broschüre gewidmet, mit der sie durch die Region tingelt, um für Zustimmung zu werben. Rundflüge für örtliche Honoratioren über andere Standorte, zum Beispiel im fränkischen Hammelburg, sollen überzeugen. Rauls Pressesprecher, Johannes Altincioglu: „Da hat manch einer erst mal glänzende Augen und rosige Wangen bekommen.“ „Umgefallen“ seien jedoch nur sehr wenige.

Kritiker rechnen der Bundeswehr vor, daß von den versprochenen Arbeitsplätzen nur 100 zivil sein werden. Auch die Zusage von Pufferzonen und Lasersimulation statt scharfer Munition reiche nicht aus. Wenn, so überlegen sie, sich zur Ausbildung der Soldaten dort täglich zwei Panzerbatallione mit je 33 Fahrzeugen bekämpfen, dann bedeutet das bei 14tägigem Wechsel der auszubildenden Truppen einen Durchlauf von zigtausenden Soldaten jährlich. Darüber, was es heißt, wenn Tiefflieger die Panzer übungsweise angreifen müssen, haben sich die Bürgerinitiativen „im Westen“ sachkundig gemacht.

Noch sind deshalb die parteiübergreifenden Reihen des Widerstandes gegen den Bund fest geschlossen in Sachsen-Anhalt. Auch Ministerpräsident Münch weiß, daß sich die FDP bei einem Wanken seinerseits entweder von ihrem populären Umweltminister Rauls trennen oder aus der Koalition ausscheiden müßte. Er gab in seiner Regierungserklärung am 17. Juli des Jahres die Richtung vor. Es komme „entscheidend“ darauf an, daß alle im Land „an dem bisher eingeschlagenen Weg mit Entschiedenheit festhalten und fest zueinander stehen“. Er bat die Abgeordneten aller Parteien eindringlich: „Lassen Sie uns weiterhin an einem Strang ziehen!“ Innenminister Perschau reagierte Mitte August ungehalten auf ein Rundfunk-Interview von Bundesverteidigungsminister Rühe, der den neuen Bundesländern vorgehalten hatte, daß ihre vorher 60 Militärstandorte doch immerhin auf nur 18 reduziert würden. Perschau zählte dagegen die jeweiligen Quadratkilometer zusammen: West 148.000 Hektar für 310.000 Soldaten, Ost 112.000 für nur 60.000 Soldaten. Auf jeden der 6.200 in Sachsen-Anhalt stationierten Soldaten kämen damit rund 60.000 Quadratmeter Fläche für den „Übungs- und Militärtourismus“. Wenn Münch jetzt vor Bonn und der Hardthöhe nachgeben würde, so vermutet Pfarrer Kerntopf, „kann der hier derzeit auch keine Wahl mehr gewinnen“.