Siegeszug des digitalen Silberlings

■ In den meisten Plattenläden gibt's nur noch CDs zu kaufen / Vinyl zum Second-Hand-Artikel degradiert

zu kaufen / Vinyl zum Second-Hand-Artikel degradiert

Die Prognose war schon vor zehn Jahren nicht sehr verheißungsvoll. Doch, daß es so rasant gehen würde, hätten selbst die größten Pessimisten nicht gedacht. Mittlerweile weiß es ein jeder: Die Schallplatte ist tot, es lebe die Compact Disc! Die Mehrzahl der größeren Hamburger Schallplattenläden (welch nostalgisch-verklärender Name) katapultieren LPs nach und nach aus ihren Regalen. Schaulandt Nedderfeld, Schallplatte am Mönckebrunnen sind mittlerweile gänzlich LP-frei, Heimann verscherbelt gerade seine Restbestände. „Warum sollen wir noch Vinyl führen, wenn es niemand kauft?“ fragt Joachim Jöhnk, Abteilungsleiter für Musik bei Karstadt Mö, quasi stellvertretend für die gesamte Branche.

Seit ihrer Markteinführung 1983 hat die CD einen einzigartigen Siegeszug durch die bundesdeutschen Haushalte vollführt. Waren es anfangs bescheidene 900000 Stück, wurde dieses Jahr die 100-Millionen-Grenze überschritten. Die Tendenz ist weiter steigend, während die LP-Verkäufe im gleichen Zeitraum auf 21 Millionen Stück zurückgingen.

Aber weshalb die LP fast gänzlich vom Markt verschwindet und sich zu einem Nischen-Tonträger wandelt, ist nicht nur durch des Käufers Faible für die handliche CD zu erklären. „Die Musikindustrie will nur einen Tonträger anbieten, und dann das große Geld machen“, vermutet Klaus Peters vom Underground-Spezialisten Michelle Records: „Die Industrie macht den Leuten erst den Mund wäßrig, und dann zocken sie die ab.“

In der Tat spricht vieles dafür, daß die großen Firmen „die Schallplatte töten wollen“, wie Insider schon lange behaupten. So nehmen seit Anfang dieses Jahres einige große Firmen keine Platten mehr zurück — das Risiko, auf Ware sitzenzubleiben, trägt alleine der Einzelhandel, der von der CD-Manie am wenigsten profitiert. „Der Konkurrenzkampf ist zu groß, als daß man dicke Gewinne machen könnte“, sagt WOM-Geschäftsführer Thomas Reinhardt, der ebenfalls von einer Preispolitik der Konzerne spricht: „Die Gewinnspannen sind für Hersteller und Plattenfirmen bei CDs höher als bei LPs, deshalb haben die kein Interesse, weiter Vinyl zu produzieren.“

Denn die Herstellung einer Schallplatte ist inzwischen teurer als die einer CD. Letztere kann inklusive aller Kosten für nicht einmal acht Mark produziert werden. Zudem befinden sich die meisten CD-Pressewerke im Besitz der Multis, womit klar ist, wer die Gewinne einstreicht. Diese sollen noch weiter ansteigen, denn zum 1. September werden die digitalen Silberlinge vermutlich um zwei bis vier Mark teurer, LPs sollen knapp unter 30 Mark kosten. Teilweise kommt es zu der grotesken Situation, daß neue LPs, sofern sie überhaupt noch erscheinen, genauso teuer sein werden wie CDs.

Unter Insidern gilt gar als ausgemacht, daß die CDs ab 1993 an die 40 Mark kosten werden. Eine Spe-

kulation, die Peter Zombik, Geschäftsführer des Bundesverbandes der phonographischen Wirtschaft, brüsk zurückweist. „Von Preiserhöhungen kann keine Rede sein“, wiegelt der CD-Lobbyist ab, „und wenn, dann geben wir nur die steigenden Lohn- und Studiokosten an unsere Kunden weiter.“ Auch von einer LP-Verdrängungspolitik könne keine Rede sein, so Zombik weiter. „Die Nachfrage entscheidet. Wir liefern, was der Endver-

braucher haben will.“

Ein wenig Hoffnung gibt es dennoch für die Vinyl-Fetischisten, denn die Secondhand-Läden werden auch weiterhin Schallplatten anbieten. „Zur Zeit haben wir noch keine Probleme beim Ankauf“, vermeldet Roland Knuth von Zardoz. Und auch die Spezialgeschäfte halten am Vinyl fest. „Wir verkaufen solange Schallplatten, wie es irgend geht“, verspricht Hans Peters von Ruff Trade.

Ein nur schwacher Trost, denn die Auswirkungen der drastischen Preiserhöhungen werden für Teile der Musikbranche verheerend sein. „Wer kauft noch unbekannte Gruppen, wenn er seine Kohle schon für die neue Michael Jackson ausgegeben hat“, befürchtet Sascha Siebenmorgen vom Indie-Vertrieb Eva.

Ein leichter Tonträger für leichte Musik — genau das richtige für das derzeitige Lebensgefühl.

Clemens Gerlach