Ex Zeven lux, nicht?

■ „Von der Volkskunst zur Moderne“ in Verden: Eine Kunstgewerbe-Ausstellung zur Stärkung des Landbewohners

Anfang dieses Jahrhunderts wollten die modernen Kunsthandwerker die Menschen von der Last des historischen Ornaments befreien. Das Ornament galt als Zeichen einer verbrecherischen Gesinnung, so zumindest sah es der Wiener Architekt Adolf Loos. Die reformbewegten Künstler, die rund um Bremen lebten, sahen das nicht ganz so radikal, doch von der Ornamentik des 19. Jahrhunderts wollten auch sie nichts mehr wissen. In einer wohlgestalteten, nur schlicht dekorierten Umgebung würde ein besserer Mensch gedeihen, so ihre Überzeugung, ein Mensch des neuen Jahrhunderts.

In der ehemaligen Holzmarktkaserne in Verden sind jetzt zahlreiche Beispiele des neuen Interieurs zu sehen: Möbel, die man sich als Ausstattung ländlicher Idyllen vorstellen kann, Möbel, die in Mädchenzimmern und Gartenlauben Platz fanden. Möbel für die sorgenfreien Stunden großbürgerlicher Existenz, Möbel für ein Leben, das noch unbeschattet war von den Weltkriegen. In Verden läßt sich eine Zeit besichtigen, in der die Intellektuellen über die Gestaltung von Bilderrahmen und Kirchenfenstern diskutierten. Das Kleine galt als wichtig, das Große als profan. Alle Probleme der Welt ließen sich damals, so möchte man meinen, auf das kunsthandwerkliche Detail zurückführen. Der Toilettentisch wog so schwer wie ein Haus.

Die Ausstellung, die vom Landschaftsverband der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden veranstaltet wird, versucht den Eindruck zu erwecken, daß der Impuls für die idyllische Neugestaltung der privaten Wohnung von den Dörfern gekommen sei. In kleinen ländlichen Werkstätten, in Tarmstedt, Scheeßel und Zeven schnitzten die Handwerker Stuhllehnen in Tulpenform — Zeichen eines neuen Stils. Zwischen Elbe und Weser, so das Fazit, wurde ein wesentlicher Schritt in Richtung Moderne gegangen, ein Schritt hin zum Bauhaus.

Doch die mit Abstand besten Arbeiten entstanden — trotz aller damals wie heute laut hervorgehobenen Landbegeisterung — in den Großstädten. Und die besten Arbeiten wurden nicht nur in Berlin und München, sondern auch und vor allem in Bremen entworfen. Rudolf Alexander Schröder, Paul Ludwig Troost und Elisabeth von Baczko zeichneten im Auftrag der „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk“. Die Werkstätten hatten sich zum Ziel gesetzt, nur modernes, dem neuen Jahrhundert entsprechendes Kunstgewerbe zu produzieren. Es sollte sachlich und luxuriös gleichermaßen sein. 1910

In der ehemaligen Holzmarktkaserne z.B. zu sehen: Ein Kinderzimmer von Elisabeth von Baczko (um 1910)Foto: Archiv

hatten die Werkstätten ihren Sitz von München nach Bremen verlegt. Der Norddeutsche Lloyd war inzwischen ihr größter Auftraggeber geworden.

Vor allem die Möbel von Elisa

hierhin bitte das

Foto von

dem leeren

Kinderzimmer

beth von Baczko (Abb.) gehören zu den besten der Zeit, gleichrangig mit den Typenmöbeln Bruno Pauls. Die Innenarchitektin war 1905 von Berlin nach Bremen gekommen. Leider zeigt die Aus

stellung nur einen kleinen Teil von den weitgehend unbekannten Baczko-Arbeiten, während Heinrich Vogelers Zimmereinrichtungen einen unverhältnismäßig breiten Raum einnehmen.

Die „Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk“ waren damals Vorbild für alle ländlichen Konkurrenzgründungen. Daß die Ausstellung die Verhältnisse umdreht, das Selbstbewußtsein des Landbewohners stärkt und die Vereinigten Werkstätten gleichsam als Randerscheinung betrachtet, liegt wohl am Veranstalter und Geldgeber der Ausstellung, der nicht in Bremen, sondern in Stade sitzt.

Das Ziel ist löblich, die Realität liegt leider weitab: Auf dem Land entdecken wir nicht mehr als die — durchaus sehenswerten — Ausläufer der Moderne, nicht mehr als die Sackgassen, die in einer biedermeierlich schönen Heimatkunst endeten. Nils Aschenbeck

Von der Volkskunst zur Moderne - Kunst und Handwerk im Elbe-Weser-Raum 1900-1930. In der ehemaligen Holzmarktkaserne (Holzmarkt 10, Nähe Bahnhof). Bis 25.10. Ein umfangreicher Katalog liegt vor.