■ ZWISCHEN DEN RILLEN
: Ein Arschloch, dem man gern die Lügen glaubt

Er war und bleibt Everybody's Darling, und er ist zurück. Evan Dando hat wieder eine Platte gemacht — auch wenn auf „It's A Shame About Ray“ immer noch Lemonheads draufsteht. Die Band existiert als solche nicht mehr, Dando holt sich für seine Aufnahmen oder Tourneen alte und neue Freunde hinzu. Diesmal sind dies David Ryan am Schlagzeug, der schon zur Urbesetzung gehörte, und Juliana Hatfield von den Blake Babies, die Bass spielt und dünn, aber schön und mutig den Background bestreitet.

Die Musik der Lemonheads ist immer noch so, wie sie immer war, genau so, wie man sie sich vorstellt, wenn man in das viel zu hübsche, ewig jungenhafte, auch schon mal Rosen zwischen den Zähnen haltende Gesicht von Dando schaut. Sein ältester und bester Trick ist, den Postpunkrock der 80er Jahre — das, was man später genauso schlau wie indifferent Independent-Musik nannte — viel zu weich zu spielen. Damit paßt er natürlich gut auf ein Major-Label, besser jedenfalls als andere. Die elektrischen Gitarren sind zwar verzerrt, sind zwar hart, aber wollen einfach nicht so klingen. Oft genug werden sie auch einfach durch Halbakustische ersetzt. Die Balladen rühren gar sehr ans Herz. Dando ist ein Schmeichler, ein verlogenes Arschloch, dem man gerne die Lügen glaubt.

Die Soundberge türmen sich zum Refrain hin immer höher, stürzen dann ein und verlieren sich in einem kurzen atonalen Aufheulen. Dando ist so berechenbar — und hat dabei so viel Charme, daß man ihm nichts übel nehmen kann und will. Er weiß das, er läßt seine Stimme, die noch jedes Herz geknackt hat, nach vorne mischen. Wie romantisch der Mann ist, läßt sich schon an der ausgewählten Coverversion erkennen. „Frank Mills“ ist ausgerechnet der kitschigste Song der ohnehin schon kitschigen Oper „Hair“. Nicht ganz so gekünstelt, aber mindestens so gefühlig intoniert ihn Dando über einer ruhig plätschernden akustischen Gitarre.

Er verläßt sich eben weiterhin auf die guten alten Rezepte aus der Jugendzeit. Die Mädels und das Publikum sind gleich geblieben, beide kriegt man mit immer noch denselben Tricks rum. Dando und seine Lemonheads haben es schon längst aufgegeben, die musikalische oder persönliche Welt revolutionieren zu wollen. Sie hocken in ihren College-Städtchen, gehen einmal im Jahr auf spaßige Europa-Tourneen und schlagen sich ansonsten mit Gelegenheitsjobs durch. Evan Dando ist ein Troubadour, vielleicht der größte, den der amerikanische Gitarrenrock hervorgebracht hat. Wie Frank Sinatra repetiert er sich selbst immer wieder und wieder. Unsere Verehrung ist ihm sicher.

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So sicher, wie wir wissen, daß Independent-Musik nicht aussterben wird — auch wenn keiner weiß, was Independent-Musik ist. Superchunk wissen's sicher auch nicht, sie spielen's nur. Und sie sind noch da, wo die Lemonheads vor Jahren auch mal angefangen haben: auf einem Independent Label. Sie glauben auch noch, daß die elektrische Gitarre und die drei berühmten Riffs extra für sie erfunden wurden, spielen mit wütender Überzeugung den Lärm, der ihnen so durch den Kopf geht. Genau das braucht man, um mit der nötigen Frische an solch abgenutzte Dinge heranzugehen.

Superchunk zeigen, daß der Underground noch lebt, daß es sich lohnen kann, drei Jahre lang sowas so Blödsinniges wie Singles herauszubringen. Letztes Jahr haben sie schließlich doch ihre erste richtige lange Platte gemacht und wurden geschwind zur Speerspitze einer neu erwachenden kalifornischen Szene erklärt.

Nun haben sie die gesamten Singles aus den drei mageren Jahren auf einer CD gesammelt, und die leistet genau das, was man von solchen historischen Rückblicken erwartet. Sie dokumentiert die Entwicklung einer Band von den ersten grob gehackten Anfängen über die versiert schrammelnde Mittelphase bis zum erwachsen- kontrollierten Rock unserer Tage. Auf „Tossing Seeds“ finden sich nicht unbedingt notwendige Bestandteile für jede gut sortierte Sammlung, aber doch jede Menge kleine Perlen aus einer Zeit, als man für überzeugte Spontaneität noch jedes 24-Spur-Studio sausen ließ. Da kam man noch auf Ideen wie, „Train From Kansas City“ von den Shangri-La's so zu covern, daß man die Party, auf der betrunken zusammengesteckte Köpfe das ausbrüteten, aus jeder Rille schwitzen hören kann. Wir fangen leise an, und spätestens beim achten Takt spielen alle so laut, wie sie können; kurz vor Ende machen wir dann noch ein Break, schön, was? Wem der Erstling „No Pocky For Kitty“ zu weichgespült war, teilt diese Meinung mit der Band selbst und wird auf „Tossing Seeds“ nicht verzichten können. Schon allein deshalb, weil er sich damit entweder zu seiner eigenen Vergangenheit öffentlich bekennen darf oder eben nachholt, was in den Achtzigern nicht jedem vergönnt war.

Lemonheads: „It's A Shame About Ray“. Atlantic/Warner 7567-82397-2.

Superchunk: „Tossing Seeds (Singles 89-91)“. Merge Records/City Slang, EFA 04078-26.

EINARSCHLOCH,DEMMANGERNDIELÜGENGLAUBT