INTERVIEW
: Der Raum gehört uns

■ Frauen-Kampfsportverein Münster bietet nach zehn Jahren mehr als rein physische Verteidigung an

Der Verein „Frauenselbstverteidigung & Frauen-Sport Münster“ ist einer der ältesten Frauensportvereine des Landes und einer der Mitgliederstärksten im Jiu-Jiutsu-Verband Nordrhein-Westfalens. Anläßlich seines zehnjährigen Bestehens sprach die taz mit den Mitarbeiterinnen Christiane Wortberg, Christiane Lichthardt und Maria Frahling.

taz: Gute Gründe für einen Frauensportverein gibt es genügend, was war Euer Anlaß?

Christiane W.: Im Frühjahr 1982 wurden in Münster drei Frauen vergewaltigt und ermordet. Daraufhin taten sich Frauen, viele aus der autonomen Frauenbewegung, zusammen, um der alltäglichen Gewalt etwas entgegenzusetzen. Es fing an mit zwei Trainingskursen in Jiu Jiutsu, einem Kampfsport, in dem es um Befreiungstechniken geht.

Haben sich Eure Angebote seitdem verändert?

Christiane W.: Wie haben uns zunächst stark auf den Bereich Kampfsport konzentriert, um Befreiungstechniken und Verteidigung zu üben. Seit 1987 betreiben wir auch anderen Frauensport. Frauen, die sich in der feministischen Sportwissenschaft engagieren, brachten Rollschuhfahren und ein sportartübergreifendes Training ins Angebot. Heute machen wir zudem Kurse in Badminton, Jazz-Tanz und Gymnastik. Auch der Kampfsportbereich hat sich weiterentwickelt — hin zu Techniken der Selbstbehauptung, die auch schon für Mädchen erlernbar sind.

Wie beurteilt Ihr den „normalen“ Sport für Frauen, wie er landläufig in gemischten Vereinen oder in Schulen praktiziert wird?

Maria F.: Davon, daß in Vereinen wie überall kaum Frauen in Spitzenpositionen vorkommen, möchte ich gar nicht erst anfangen. Zum Sporttreiben selbst: In den letzten Jahren nimmt die Zahl der Frauen im Sport enorm zu. Die feministische Sportwissenschaft jedoch stellt fest, daß die meisten Sportarten wie Aerobic oder Bodybuilding für Frauen funktionalisiert werden, um bestimmten Körperidealen zu entsprechen. Über den Sport werden Schönheitsideale — von Männern bestimmt — umgesetzt. Ob es für den Frauenkörper gut ist, ist zweitrangig, er wird schlicht instrumentalisiert. Ein weiterer Aspekt: Frauen meiden Körperkonfrontationen. Sie bevorzugen im allgemeinen keinen Wettkampfsport mit direkter Konfrontation, sondern ästhetisierende Sportarten wie Tanz oder Turnen, die zudem geschlechtsrollenkonform sind. Kugelstoßerinnen mit entsprechend starken Armmuskeln oder Leistungsschwimmerinnen mit breitem Kreuz können ein Lied davon singen, wie schwierig es ist, selbstbewußt mit diesem ja nicht als weiblich akzeptierten Aussehen klarzukommen.

Gibt es Erkenntnisse darüber, welche Auswirkungen sexueller Mißbrauch und andere Gewalterfahrungen auf die Art und Weise der Sportausübung haben?

Maria F.: Ja. Diese Frauen haben Strategien, um Bewegungen zu vermeiden, weil Schwitzen oder Schmerzen bei Bewegungen an die alten Gewalterfahrungen erinnern könnten. Es gibt aber auch das Gegenteil. Als Abwehrmechanismus wird dann übersteigert Sport betrieben, um den Körper wieder in den Griff zu bekommen, um ihn zu beherrschen.

Inwiefern ist feministischer Sport ein anderer Sport?

Maria F.: Ich nenne mal einige Akzente. Frauen sollen lernen, Raum zu ergreifen, sich auszubreiten. Das sollen sie auch durch die Stimme, auch verbal sollen sie Raum nehmen. Dazu gehört auch, über Erfahrungen zu reden und über Körperideale.

Es heißt, wenn frau erfolgreich gegen Männer kämpfen will, muß sie sehr geübt sein und schon lange Kampfsport praktiziert haben. Bietet Euer Angebot Frauen erst dann wirklichen Schutz, wenn sie Profis sind?

Christiane W.: Nein. Wenn Frauen das Gefühl von Stärke haben, signalisieren sie das nach außen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem eigenen Auftreten nach außen hin und alltäglicher Anmache. Es geht auch darum, ein Gefühl für die Bedrohung zu bekommen. Zu fragen, ab wann mich jemand anderes belästigt und nicht immer Verständnis zu haben.

Ein neuer Schwerpunkt Eurer Arbeit ist seit einiger Zeit das Angebot für Mädchen. Wie ist die Resonanz darauf?

Christiane L.: Wir bieten an vier Schulen im Moment Kurse für Zehn- bis Dreizehnjährige und für Dreizehn- bis Fünfzehnjährige. Zum Teil finden die Kurse als AG-Angebot auch nach der Schule statt, zum Teil aber auch als Zusatzangebot zum normalen Sportunterricht. Der Erfolg war enorm: Bei einem Kurs kamen 40 Mädchen spontan, und eine andere Klasse hatte sich angekündigt.

Sind die Schulen offen für Eure Angebote?

Christiane L.: Wir haben da offene Türen eingerannt. Inzwischen wird immer mehr überlegt, welche Maßnahmen gegen sexuellen Kindesmißbrauch ergriffen werden können. Außerdem sehen sie selbst, wie gut das von den Mädchen angenommen wird. Da die Schulen selber aber kein Geld haben, müssen wir im Moment das Angebot über eine ABM finanzieren. Das Interview führte Uta Klein