„Dann hab' ich auf den Neger eingestochen“

In Eberswalde wird heute der Prozeß gegen fünf junge Männer aus der Skinhead- und Heavy-Metal-Szene fortgesetzt Sven B. ist einer der Angeklagten/ Sie sollen im November 1990 den Angolaner Amadeu Antonio totgeschlagen haben  ■ Von Bascha Mika

Eberswalde (taz) — Fies sieht er aus, dieser Sven B., mit dem feisten Gesicht und dem garstigen Grinsen. Er hat diese Art von Kopf, der geschoren vollends einem Kürbis gleicht. Doch zur Zeit trägt Sven B. sein Haar länger, einen mausbraunen Kranz, sauber gescheitelt auf dem oberen Haupte. Mit seinem rasierten Nacken und der plumpen Figur könnte er eine Rolle in Lubitschs Hitlerkomödie „Sein oder Nichtsein“ übernehmen: die des fetten Obersturmbannführers Erhardt, der sich köstlich über seinen Spitznamen „Konzentrationslager-Erhardt“ amüsiert.

Sven B. scheint zu wissen, wie er wirkt — und kokettiert mit dem Abscheu. Betont gleichmütig erzählt er dem Gericht von seiner Attacke auf einen der Schwarzen in der Nacht, als sie Antonio Amadeu umbrachten. „Der Neger kam auf mich zugerannt, ich hatte ein Messer in der Hand, und hab' zweimal zugestochen, ins Gesicht und in den Hintern.“ „Warum?“ will der Richter wissen. Der Fleischklops in Jeansjacke zuckt mit den Achseln: „Ich weiß es nicht.“ Später fällt ihm ein: „Vielleicht, weil der so eklig gegrinst hat.“ Sven B., der Schrecken der Erwachsenen, der ihre Normen verhöhnt und ihr Entsetzen lächerlich findet. Sven B., der Nazi, der den ostdeutschen Spießer samt eingebleutem Antifaschismus verachtet. Das ist ein Spiel, das ihm Spaß macht. Und bei der Verhandlung in Eberswalde spielen alle mit und küren ihn zu ihrem „Lieblingsangeklagten“: der harmlose Richter, der ihn „den Dicken“ nennt und dann wieder fassungslos auf seine mit „H.A.S.S.“ tätowierten Finger starrt. Die Prozeßbeobachter, für die er der „Nazi-Depp“, der „preußische Buddha“, der tumbe Ost-Schläger ist. Die Fotografen, die ihm stundenlang auflauern und denen er den erhobenen Mittelfinger entgegenreckt.

Sven B. ist kein Depp, auch wenn er nur sieben Klassen geschafft hat. Er hat flinke Augen und ist durchaus gewitzt. „Sind sie hitlerfreundlich?“ fragt der Richter den 20jährigen. „Nee, ich bin ein rechtsextremer Jugendlicher.“ „Sind Sie gewaltbereit?“ „Nee, mehr so mit Plakate kleben.“

Und wenn's ganz dicke mit den Anschuldigungen kommt, zaubert Sven B. mit Blick auf den Richter sogar einen treuherzigen Augenaufschlag ins Gesicht. Seine früheren Lehrer in Casekow bescheinigten ihm durchaus den Willen zu lernen — wenn er Lust hatte. Aber davon hatte er meistens wenig. Mit seinen beiden Geschwistern wurde er hauptsächlich von der Mutter erzogen. Berufstätig waren die Eltern beide, Zeit für die Kinder blieb nicht viel. Sven schloß sich eng seinem zwei Jahre älteren Bruder Kay-Nando an (der eigentlich auch in Eberswald vor Gericht stehen sollte, wenn er nicht abgehauen wäre). Kay- Nando war toll: ließ sich von den Erwachsenen nichts sagen, lernte leicht und schnell.

Sven beendete seine Lehre als Tierpfleger, bevor er sich mit seinen Vorgesetzten überwarf; seit Juni 1990 ist er arbeitslos. Kay-Nando machte sich noch vor seiner Maurerprüfung unbeliebt und kündigte im Januar 1990 das Lehrverhältnis in gegenseitigem Einvernehmen. Im Oktober 90 kriegte er per ABM einen Job als Stadthandwerker.

Irgendwann zwischen Kindheit und Jugend war bei den Brüdern etwas kaputtgegangen. Zwischen den repressiven Lebensverhältnissen und dem inneren, anarchischen Drang blieb das Gefühl für das Ich auf der Strecke. Mit Aggression und Gewalt suchten sie das gesprungene Selbstbild zu kitten. 1989 stand Sven B. mit seinem Bruder das erste Mal vor Gericht, in Angermünde. Anklage: gemeinschaftliche Körperverletzung. Kay-Nando mußte für ein Jahr und vier Monate in den Knast, Sven kriegte zweieinhalb Jahre auf Bewährung.

Wer die Brüder damals zusammen gesehen hat, vergaß sie so schnell nicht wieder: zwei glatzköpfige Riesenbabys mit unfertigen Gesichtern, massigen Gestalten. Schön waren sie wahrlich nicht, dafür großkotzig, richtige Machos. Kay-Nando lebte mit seiner Freundin und dem gemeinsamen Kind; auch Sven hatte eine Freundin.

Die Aggression der Brüder fand bald ihr Lieblingsobjekt: die „Anderen“, die „Fremden“. Seit 1990 fühlt sich Sven B. als Fascho. Die rechtsradikalen Freunde Kay-Nandos akzeptierten ihn, er war offen, fand leicht Kontakt. Sie soffen und schlugen und fühlten sich richtig gut. „Deutsch“ waren sie. Das konnte ihnen keiner nehmen. Kay-Nando hatte eine eigene Wohnung in Gartz, wurde schnell zum Mittelpunkt der dortigen Skin- Head-Szene, knüpfte Kontakte zu Rechtsradikalen aus der Umgebung und war der Verbindungsmann zu organisierten Neonazis — der „Nationalistischen Front“ in Schwedt und Gleichgesinnten in Eberswalde.

Im November 1990, Kay- Nando war auf Bewährung aus dem Knast, machten sich die Brüder und ihre Bande zu einem Treffen nach Eberswalde auf. Die dortigen Neonazis hatten geladen, auch Heavy Metals wollte man treffen. Die Randale lief wie geplant, Kay-Nando wütete mit einem Baseballschläger, Sven mit seinem Messer. Zwei Schwarze wurden schwer verletzt, Amadeu Antonio totgeprügelt. Die Brüder wurden festgenommen; sie gestanden, geschlagen und gestochen zu haben — aber nicht Amadeu Antonio.

Kay-Nando saß als Hauptverdächtiger bis September 91 in Untersuchungshaft. Sven wurde im Juli freigelassen. Im November 91, fast auf den Tag ein Jahr nach dem Überfall in Eberswalde, schlug Sven wieder zu. Diesmal in Hohenselchow, wieder aus einer Gruppe heraus. Diesmal wurde ein Deutscher totgeschlagen. Zunächst sah es aus, als würde der Dicke davonkommen. Ein anderer hatte die Tat gestanden — mehr oder weniger „aus Versehen“. Nach sieben Wochen Ermittlungen stand die Kripo dann vor Svens Tür. Er gab alles zu. Seit Januar 92 ist er wegen Totschlags in Untersuchungshaft und konnte so auch dem Verfahren in Eberswalde nicht entgehen.

Breitbeinig sitzt er nun da und erzählt dem Gericht, wie alles angefangen hatte an jenem Abend, den Antonio nicht überleben sollte: „Hatte damals zwölf Bier, 'ne halbe Flasche Wein und nicht ganz 'ne halbe Flasche Schnaps intus. Ganz stark angeheitert war ich da, man kann schon fast sagen: angetrunken.“ Und um allen zu zeigen, wie cool er das Verfahren nimmt, fläzt sich Sven B. hinter seinem Verteidiger im Stuhl, grient seine Kumpel im Zeugenstand an und kaut unablässig Kaugummi.

Ironie der Geschichte: Die Lieblingstatverdächtigen bei diesem Prozeß, die schrecklichen Brüder B., sind offenbar nicht Schuld am Tod Amadeu Antonios. Das sind die anderen Angeklagten — die alle aussehen wie die netten Jungs von nebenan.