Kranich weiter mit schwerem Gepäck

■ Zurückhaltende Reaktion der ÖTV auf den DAG-Vorschlag zur Personalkosteneinsparung bei der Lufthansa

Berlin (taz) — Der Lufthansa-Kranich wird wird weiterhin mit schwerem Gepäck fliegen müssen. Die Gewerkschaft ÖTV hielt sich am Dienstag mit Erklärungen zu dem Vorstoß der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) zurück, die durch Lohnverzicht und Arbeitszeitverlängerungen 500 Millionen Mark Personalkosten einsparen will, um die Sanierung des aufgeblähten Bundesunternehmens zu unterstützen. In einer Erklärung hatte die ÖTV unmittelbar nach Bekanntwerden des DAG-Vorschlags festgestellt, sie sehe „gegenwärtig keinen Anlaß, tarifliche Standards“ ohne weiteres zur Disposition zu stellen.

Es sei falsch, die schwierige Lage der Lufthansa ausschließlich auf Fragen der Tarifpolitik und Personalbewirtschaftung zu reduzieren. Die Lufthansa stehe vor Strukturproblemen, die nichts mit der Personalpolitik zu tun hätten. So enthalte zum Beispiel das 1953 abgeschlossene Luftverkehrsabkommen zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten eine Wettbewerbsverzerrung auf den wichtigen Atlantik-Linien, weil es für die Lufthansa Einschränkungen bei den Anflugrechten und Flugfrequenzen in den Vereinigten Staaten enthalte. Auch die aufgeblähte, unflexible Verwaltung und Managementfehler seien wichtige Ursachen für die gegenwärtige Krise. Die Lufthansa rechnet mit 1 Millarde Mark Verlust zum Jahresende. Die ÖTV hat am letzten Wochenende ihre Tarifkommission zu einer Klausursitzung zusammengeholt, um sich auf die am kommenden Freitag beginnenden Tarifverhandlungen vorzubereiten. Bis dahin will sich die Gewerkschaft mit weiteren Stellungnahmen zu dem DAG-Vorschlag zurückhalten. Eine vorherige Abstimmung der beiden Gewerkschaften hat es nicht gegeben, auch wenn die ÖTV über den bevorstehenden Vorstoß der Angestelltengewerkschaft unterrichtet war. Schon in den letzten Jahren, so der ÖTV- Sprecher Rainer Hillgärtner zur taz, hätten die Tarifabschlüsse Rücksicht auf die schwierige Situation des Luftfahrt-Konzerns genommen. So habe der Tarifvertrag 1990 durch Aussetzen der Arbeitszeitverkürzung für das fliegende Personal und Veränderungen in der Tarifstruktur Einsparungen für die Lufthansa gebracht. Und 1991 habe der Abschluß mit 4 Prozent knapp unter der Inflationsrate gelegen.

Grundsätzlich ist die ÖTV nach Hillgärtners Worten nach wie vor bereit, sich an der Sanierung der Lufthansa zu beteiligen. Aber in bezug auf Lohnopfer tut sich die ÖTV auch aus strukturellen Gründen schwerer als die DAG. Von den rund 60.000 Lufthansa-Beschäftigten organisiert die ÖTV etwa 16.000, vorwiegend in den unteren und mittleren Gehaltsgruppen, während die DAG ihre 8.000 Mitglieder eher unter den Spitzenverdienern des fliegenden Personals rekrutiert. Einem Lufthansa-Pilot beispielsweise mit rund 15.000 Mark im Monat dürfte ein Solidaritätsopfer für seinen Arbeitgeber leichter fallen als dem schlechter bezahlten Bodenpersonal.

Zwar räumt man auch bei der ÖTV ein, daß die Lufthansa-Beschäftigten insgesamt besser bezahlt werden als die Beschäftigten bei der Konkurrenz, etwa bei der British Airways. Die ÖTV fürchtet aber ganz offensichtlich, daß eine Negativ-Lohnrunde bei der Lufthansa auch in anderen Bereichen Schule machen könnte. So wurden im Zusammenhang mit dem DAG-Vorschlag Stimmen laut, was für die Lufthansa möglich sei, solle auch bei anderen notleidenden Firmen etwa in Ostdeutschland gelten: Sanierung durch Lohnkürzung. Martin Kempe