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Abschied vom grünen Pazifismus

Zwei grüne Spitzenpolitiker fordern militärische Intervention in Ex-Jugoslawien/ Trendwende nach Serbien-Besuch von Claudia Roth und Helmut Lippelt/ Gegen „Faschismus“ in Serbien komme „purer Pazifismus“ nicht mehr an  ■ Von Claus Christian Malzahn

Berlin (taz) — Zwei Spitzenpolitiker der Grünen haben gestern in Bonn gefordert, in den Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien mit militärischer Gewalt einzugreifen. Nach einem Besuch der serbischen Friedensbewegung in Belgrad erklärten das Bundesvorstandsmitglied Helmut Lippelt und die grüne Europaabgeordnete Claudia Roth, die sogenannten ethnischen Bereinigungen, die Internierungslager und die archaische Gewalt seien „klare Bestandteile des Faschismus“. Faschismus müsse bekämpft werden — „unter klaren Voraussetzungen, notfalls mit Gewalt“.Bisher hatten die Grünen ein militärisches Eingreifen auf dem Balkan strikt abgelehnt. Nachdem sich Lippelt und Roth vor Ort über die Situation in Serbien informierten, gibt es in der Öko-Partei keine pazifistische Einheitsfront mehr. Die beiden Abweichler forderten die Bundesregierung und die EG nun dazu auf, die serbischen Internierungslager „umgehend zu befreien“. Es sei klar, „daß das nicht ohne Gewalt geht“, sagte Lippelt der taz. Ihm sei auch klar, daß die Forderung, „wesentlich größere Hilfslieferungen in die betroffenen Gebiete zu forcieren“, damit verbunden sei, diese Konvois militärisch abzusichern. Ihm sei bewußt, daß eine militärische Intervention eine große Gefahr in sich berge, weil nicht auszuschließen sei, daß dies zu einer unkontrollierbaren Eskalation der Gewalt führen könne. Mitglieder der serbischen Friedensbewegung hätten in Belgrad außerdem darauf hingewiesen, daß eine solche Intervention zu einer Stärkung der innenpolitischen Rolle des Präsidenten Milosevic beitragen könne. Das Dilemma der serbischen Friedensbewegung sei auch das der Grünen, sagte Lippelt: Man sei mit einer „unglaublichen Welle von Terror, Intoleranz und Nationalismus konfrontiert“.

Obwohl gewichtige Gründe gegen ein militärisches Eingreifen sprächen, „würden wir einer entsprechenden UN-Resolution nicht widersprechen“, sagte Lippelt der taz. Die Frage sei, „wie Pazifisten mit Faschismus umgehen“. Gegen die unglaubliche Militarisierung in Serbien käme „purer Pazifismus“ nicht mehr an. Die UNO-Resolution hält er „für absolut nicht ausreichend“.

Lippelt hofft nun, „daß ich dieses Problem ungeschoren in der Partei diskutiert bekomme“. Er betonte, daß diese Haltung die Position von Roth und Lippelt, nicht aber die der Partei sei. Die Reaktion auf den Abschied vom Pazifismus, den die beiden auf ihrer Pressekonferenz in Bonn vollzogen hatten, ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Angelika Beer, ebenfalls Mitglied des grünen Bundesvorstands, erklärte, „es gibt keinen Frieden durch Krieg!“ Es seien längst nicht alle Wege einer gewaltfreien Lösung im Jugoslawien-Konflikt gegangen worden. Der Bundesvorstand werde sich in der kommenden Woche mit dem Problem befassen, sie selbst Anfang September nach Zagreb fahren.

Lippelt und Roth warnten davor, die Tragödie im ehemaligen Jugoslawien zu einer innenpolitischen Debatte in Deutschland umzufunktionieren, die das Ziel verfolge, ein weltweites militärisches Eingreifen der Bundeswehr möglich zu machen. Es dränge sich auch der bittere Eindruck auf, daß es Europa nicht wirklich um „Jugoslawien“ gehe. Die EG benütze das Land vielmehr als Spielfeld, um eigene Probleme zu lösen. Auch die serbische Friedensbewegung habe die EG-Politik eindringlich kritisiert.

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