Unser Heimatsender wie neu

■ Hörfunk-Styling: Weniger Wortblöcke im 1., mehr Politik im 2., nur Klassik im 3., mehr Masse ins 4.

Mit einer durchgreifenden Programm-Reform versucht Radio Bremen (RB), seine vier Hörfunk-Wellen attraktiver, erkennbarer, rationeller durchzustylen: das erste und vierte Programm als Massenwellen, das zweite und dritte für die Minderheiten, deren spezielle Hörbedürfnisse der öffentlich-rechtliche Sender zu befriedigen verpflichtet ist. Was werden wir in zwei Wochen zu hören kriegen?

Neue Zentrale

Ein Kernstück der Reform betrifft die internen Arbeitsabläufe im Sender, die aber unüberhörbare Außenwirkungen haben werden. Ab 1. September soll über den Politik-Fach-Redaktionen eine „Zentralredaktion“ stehen und für alle vier Wellen die Organisation von Beiträgen koordinieren: Leitungen bestellen, ReporterInnen mobilisieren, losschicken, Ü-Wagen einsetzen. Vinke verspricht sich davon „Rationalisierungs-Effekte, die wir bisher nicht hatten“, hofft auf „akute Einsparungen“ weniger „doppelte und dreifach honorierte Beiträge“. Zum Beispiel könnte die Wirtschaftsredaktion morgens Themen anbieten für die Verbraucherecke, für das Vormittags-Programm, für den Wirtschaftsschwerpunkt im Zweiten, und die Zentralredaktion, wenn es sie denn überzeugt, organisiert, plaziert aktuelle Geschehnisse schnell im Programm. Also keine Sendeplätze für Redaktionen und Ressorts, sondern Sendemix und redaktionelle Kooperation, Vinke: „das schwierigste Stück der ganzen Reform“.

Die Hansawelle: RB 1

Keine Sorge: der unsterbliche Kaffeepott bleibt! Aber mit deutlich mehr regionalen Bezügen, betont der Programmchef, der darin überhaupt die „Überlebenschance“ des Senders sieht. Aber die langen Wortstrecken am Abend, die Hörspiele, all das, das sich im Massenprogramm „wie eine Bremse ausgewirkt hat“ (Vinke), werden verschwinden ins Zweite. Der vielbeklagte Verkehrsfunk soll durch Neuorganisation und Schnelligkeit endlich seinen Namen verdienen.

Radio Bremen 2 — nicht mehr kulturell

Was früher die Kulturwelle war, wird jetzt umgestrickt und hat vor lauter Aufregung noch gar keinen neuen Namen. RB 2 ist ein Minderheitenprogramm, aber soll „nicht nur 1% der Hörer bedienen, sondern die Mehrheit der Minderheit“, so Vinke. Vor allem Kultur und Politik sollen „so dicht wie möglich zusammen“. Start in den Tag ab 6 mit einer Stunde Politik, natürlich eingebettet in Musik, dann folgt das Journal am Morgen in unveränderter Präsentation. Exklusiv auf RB 2 gibt es mittags eine Stunde Politik, mit den erklärten Schwerpunkten Börse und Wirtschaft, „was möglichst viele Leute verstehen lernen sollen“, mit dem Zeitfunk mit regionalen und überregionalen Themen, kurz als Mix „das buten-&-binnen-Prinzip“. Auch bei „Politik am Abend“ von 17-18 Uhr sollen regionale und überregionale Wirtschaftsthemen einen Schwerpunkt setzen, bisher gab es auf der Massenwelle Hansawelle täglich 15 Minuten Wirtschaft am Stück. Ohne daß man richtig merkt wie, sollen bei Politik am Abend Nachrichten und Interviews, Musikbeilagen und Original-Töne, Live-ReporterInnen und Meldungen die HörerInnen an den Empfänger fesseln. Einige ModeratorInnen mehr wird es geben, und zwar möglichst Frauen, damit bald halbe- halbe erreicht ist. „Wellenchefs“ sind drei Männer.

Eine Reform zum Nulltarif, das schafft „kein Unternehmen der Erde“, sagt Vinke. Also wird erstens alles ein bißchen teurer, zumindest am Anfang. Gleichzeitig ist klar, „daß der Druck sinkender Werbe-Einnahmen gerade in den letzten Tagen erheblich gestiegen ist, das muß aufgefangen werden.“ Und die Etat- Überziehungen im Kulturprogramm „müssen weg“.

Radio Bremen 3 Klassik

Das ältere Publikum wird sich wundern und seine Goldies aus dem bislang durchgeschalteteten WDR-4-Programm vergeblich suchen. Bänderweise wird im Dritten als dem "ersten öffentlich- rechtlichen Klassik-Sender“ eben „Klassik“ aufgelegt, auch gern romantisch oder barock, vor allem auch „in den populären Bereich hinein“, schließlich will Vinke „ein paar Prozentpunkte mehr“ Einschaltquote erreichen. Wort ist die „absolute Ausnahme“ mit „al fresco“ und Konzert-Tips.

Radio Bremen 4

Zuwächse erhofft man sich angesichts stagnierender Einschaltquoten bei Radio Bremen 4, das „nicht mehr für die Kids, sondern für junge Leute bis 30, 35“ hörbar sein soll, die RB-Broschüre spricht schon vom „Zweiten Massenprogramm“. Sowas entscheidet sich an der Musikfarbe. Daß durch die Anpassung an 30jährige Ohren die Jungen abspringen, „glaubt“ Vinke nicht, der Musikgeschmack der 14jährigen sei ohnehin so differenziert, daß er öffentlich-rechtlich gar nicht annähernd zu bedienen sei.

Guter Rat ist teuer

Als Programmreform-Berater im Hintergrund war der frühere Radio-Schleswig-Holstein-Geschäftsführer Hermann Stümpert engagiert. Die Werbe-Tochter von Rado Bremen hatte im Teile einer qualitativen Infratest-Untersuchung zur Verfügung gestellt, in der die Hörer-Reaktionen auf Musikfarbe und Programmelemente hin befragt worden waren. Stümpert hatte auch Bänder der Hansawelle gehört und dann den entsprechenden Arbeitsgruppen seine Reform-Vorstellungen vorgetragen. Gerüchte, daß diese Beratung der Radio-Bremen-Werbung 100.000 Mark wert gewesen sein soll, dementiert der Werbe- Chef Plog energisch. „Nicht im entferntesten“ sei bisher diese Summe erreicht, die Beratungstätigkeit könne aber eventuell eine Fortsetzung finden.

Für den Radio-Bremen-Werbe-Chef Plog hat die Infratest- Untersuchung bestätigt, was zum Einmaleins der privaten Hörfunk-Macher gehört: die Musikmischung der Hansawelle ist oft zufällig, und den nach Kriterien der Privaten hat sie „zuviel Wort“ je nach Laune der Moderation.

Wie bei Privaten soll das Sendeschema der populären Radio- Bremen-Wellen vereinheitlicht werden, feste Sendeplätze mit Spezial-Hörerschaft sollen ins fließende Programm aufgelöst werden. Von einer Musiksteuerung durch Computer-Programme und einer Reduzierung des Wortanteils auf das Niveau von Antenne Niedersachsen ist Radio Bremen dennoch weit entfernt. S.P./K.W.