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Erinnerungsarbeiterinnen

■ Barbara Köhler, Brigitte Oleschinski und Katja Winkler lasen im Café Clara

Es scheint, Barbara Köhler, der Dichterin aus Chemnitz, ist nicht nur die Stadt Berlin »UNHEIMLICH im Wortsinn« — wie sie in einem ihrer Prosatexte schreibt. Nervös ist sie, als erwarte man von ihr etwas, das zu leisten sie nicht imstande ist. Dabei soll sie doch nur lesen. Die Gesellschaft zur Förderung der Literatur »Orplid & Co.« hat sie gemeinsam mit zwei Berliner Schriftstellerinnen (eine Ost, eine West) ins Café Clara eingeladen. Titel: »Deutsches Roulette« — nach der Zeile, die über dem ersten Gedichtband von Barbara Köhler steht. Das ist schon etwas abgegriffen, aber es stimmt. Zumindest zwei der drei Schriftstellerinnen beschäftigen sich an diesem Abend ausschließlich mit dem zusammengewürfelten Lande.

Brigitte Oleschinski, Westberlinerin, stellt einen unveröffentlichten Zyklus »key poems« vor, entstanden zwischen 1989 und 1992. Sie spricht zur Tischplatte und leise, als wolle sie ihre Gedichte doch lieber nicht laut sagen. Es sind akribische Beobachtungen der DDR, vielmehr dessen, was davon übriggeblieben ist. Unprätentiös räumen sie das ewige Vorurteil der Eroberung mit einem Handstrich aus der Welt. Oleschinski nimmt nicht ein, sondern auf. Texte wie Fotografien, ihrerseits die Bilderketten erzeugen, wenn man nur hörend ein paar der Zeilen erhaschen kann.

Wie gut, daß es die Möglichkeit gibt, nachzulesen: »dann wieder die buckligen//Fassaden entlang, von denen der Putz bröselt, das Pflaster summend/wie ofenwarmer Streuselkuchen zwischen den steilen schiefen/Rinnsteinkanten. Frischer Schweiß//glasiert die dünnen Bleche im Hof, die ein verwunschenes Gewerbe bequem/aus den offenen Fenstern schiebt, Eischaum und Zimt auf blond/überkrusteten Müllkastendeckeln(...)«. Texte, die einladen und sich selbst zurückhalten. Unverständlich allein, warum Brigitte Oleschinski den Zyklus unbedingt englisch übertiteln will wie bereits ihren ersten Gedichtband (»Mental HeatControl«).

Ganz anders Katja Winkler. Reichlich hingekotzte Zeilen, in denen Gottvater als Exhibitionist entlarvt wird, der zwei seiner Töchter zum »sight-seeing im Paradies« führt — und ihnen bei der Gelegenheit seine Männlichkeit offenbart. Autobiographische Fährten werden ausgelegt, führen aber ins Leere. Die 1960 geborene Ostberlinerin mischt Märchen, Träumerei und Jargon, hin und wieder flicht sie verschämt Reime in Zeilen, direkt in die Mitte, damit sie dann ganz schnell darüberlesen kann. Reizvoller als provokante Botschaften ist das Tändeln: »du bist schon da von so weit her / nach nirgends hin ich bin / im Glück Hans nur ein Wort das / Spiel ist aus ein Satz ich setzte / zwei Hasard (nicht alles) / du verstehst fragile«.

Katja Winkler ist wie ein Puffer zwischen Brigitte Oleschinskis Beobachtungen und dem, was Barbara Köhler zu sagen hat. Während die eine Raum zwischen sich und den HörerInnen läßt, gibt es bei der anderen kein Entrinnen, Distanz würde sich unter der Hand in Voyeurismus verwandeln. Köhler muß ihre Gedichte unter der gleichen Anspannung geschrieben haben, mit der sie ihre Nervosität zu bezwingen sucht, wenn sie liest. Extreme Subjekt-Lyrik in der Tradition Ingeborg Bachmanns. Köhlers Gedichte sind noch einmal aus der Anstrengung heraus geschrieben, das Ich wichtiger zu erachten als ein verhüllendes Wir. Es geht darum, sich zu erinnern, um der Verwicklungen Herr — oder Frau — zu werden. »ICH STELLE MICH VOR vollendete tatsachen (die mauer im/rücken halbdunkel im kopf die hand zwischen den/schenkeln nach welt schreien)...«

Barbara Köhler läßt die Zuhörenden mit ihren Assoziationen allein. Ein Prosatext von 1990, den sie zwischen alte und neue Gedichte stellt, führt aus deren Rissen und Brüchen zu den Ursachen. Diesen Text werde sie fortschreiben müssen, sagt sie.

Friederike Freier

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