Ist Greenaway ein Geizhals?

■ Das „Medienland NRW“ freut sich, den Regisseur zu Dreharbeiten empfangen zu können, und akzeptiert, daß er den Komparsen Hungerlöhne zahlt

Peter Greenaway dreht zur Zeit seinen neuesten Kinofilm in der Eissporthalle des Bonner Vororts Troisdorf. Fast 1.200 Komparsen (gemeldet hatten sich rund achttausend), die alle vom britischen Kronregisseur entdeckt werden wollen, arbeiten in der mit Plüsch und Tuch in ein florentinisches Theater des 17.Jahrhunderts umgewandelten „Kältekammer“ zu Stundenlöhnen von zwei bis drei Mark, während Greenaways Produktionsgesellschaft, die Düsseldorfer Schlemmer- Film GmbH, bei der Nordrhein- Westfälischen Filmstiftung 1,5 Millionen Mark Fördermittel, die zum Teil aus Rundfunkgebühren stammen, ergattern konnte. (Zum Vergleich: der Film „Schtonk“ wurde mit 1,2 Millionen Mark NRW-Fördermitteln bedacht; dort erhielten die Komparsen Tagesgagen von 100 Mark an aufwärts.)

Mit den Prinzipien der NRW- Filmförderung verträgt sich das eigentlich nicht: Laut Satzung der Filmstiftung ist Peter Greenaway gehalten, das Geld „im Interesse der Beschäftigung von Personen und Unternehmen in NRW“ auszugeben. Für die Geschäftsführung der Düsseldorfer Stiftung bedeutet dies indes keineswegs, „sich an Tarifverträge halten zu müssen“ (Tarif: 130 Mark täglich), weil — so Manuela Stehr — „diese Gewerkschaftsbedingungen für diese Produktion nicht ausgehandelt sind“. Es gelte — für die Komparsen und alle anderen an dieser Produktion Beteiligten — die „freie Marktwirtschaft“. Wer für 25 Mark täglich arbeite, so Geschäftsführer Dieter Kosslick, sei „halt blöd und selber schuld“. „Durchaus üblich“ seien die Bedingungen auch für die etwa 80 bis 100 „Praktikanten“ und „Hospitanten“, die — um ihr Studium abschließen zu können — eine entsprechende Berufspraxis nachweisen müssen; sie arbeiten täglich zehn bis vierzehn Stunden, gänzlich ohne einen Pfennig dafür zu bekommen. Die Filmstiftung sei schließlich keine Kontrollbehörde, so Kosslick weiter, sondern habe nur zu prüfen, ob das Endprodukt „vermarktbar“ sei. Und so wurden dem sparsamen Engländer gleich zwei weitere Projekte mit insgesamt 300.000 Mark (allein für die Produktionsvorbereitung) bezuschußt.

„Das Baby von Macon“, so der Titel dieser jüngsten Produktion, findet gleich auf drei verschiedenen Ebenen statt: in einem florentinischen Theater des 17.Jahrhunderts schaut sich Cosimo de Medici samt Anhängerschaft (wie Nasenbohrer oder Schweißabtupfer) vergnügt eine Tragödie aus dem 15.Jahrhundert an, in der ein wunderschönes Baby trotz ernährungsbedingter Unfruchtbarkeit der Mutter zur Welt kommt und als Heiligenfigur vermarktet wird. Die Zuschauerschaft (Komparsen) kennt das 200 Jahre alte Theaterstück natürlich und spielt euphorisch mit. Der Film setzt beide Szenen auf einer dritten Ebene in den krassen Kontrast zur Realität. Plüsch, Pomp und Völlerei auf der einen Seite, Hunger und Elend auf der anderen: Greenaway klagt die mittelalterliche Dekadenz an, die sich in der bürgerlichen Gesellschaft bis heute fortgesetzt hat. Der apathische Kinobesucher von heute wird sich in seinem Zuschauer-Konsumenten-Sessel recht unwohl fühlen, wird ihm doch auf der Leinwand plastisch vor Augen geführt, zu welcher interaktiven Leistung ein Publikum eigentlich fähig ist. Während Greenaways Komparsen im Theaterstück ständig die Rollen zwischen Zuschauer und Darsteller wechseln, bleibt dem gelähmten Kinobesucher nur der Weg ins Freie; das übliche Rezipientenschicksal von heute eben, die Häme darüber ist Greenaway schon heute anzusehen.

Besonders gut gefallen haben mag dem Engländer auch der unkonventionelle Umgang rheinländischer Behörden mit Regelverstößen und Versäumnissen bei der Filmproduktion. Die Gewerbeaufsicht Bonn drückte gleich zwei Augen zu, als sich — nach der Beschwerde einer Mutter — herausstellte, daß ihre minderjährigen „Englein“ die Rollen ohne die nötige Genehmigung nach dem Jugendschutzgesetz spielen sollten. Die Genehmigung wurde nachträglich rückwirkend erteilt und lediglich mit einem kleinen Bußgeld verziert. Auch die Düsseldorfer Staatskanzlei (SPD) ist stolz, einen so berühmten Flmemacher in NRW begrüßen zu dürfen, und verordnete den Behörden zu Beginn der Dreharbeiten pfleglichen Umgang mit dem kühnen Briten. Einer dürfte diese Ermunterung seiner Düsseldorfer Genossen als ganz persönliches filmpolitisches Signal aufgefaßt haben: NRW- Filmstiftungs-Geschäftsführer und Ex-Büroleiter Ulrich Kloses aus Hamburg, Dieter Kosslick. Für ihn stellt die Greenaway-Produktion am Rhein einen Meilenstein auf dem erklärten Weg Nordrhein-Westfalens dar, noch in diesem Jahrhundert „Knotenpunkt der Medien“ zu werden. Einen Erfolg habe er schon in der Tasche, sagt Kosslick: „Manta — der Film“ habe die gesamten Produktions- und Verleihkosten schon vier Monate nach dem Kinostart eingespielt.

Greenaway wiederum wird vor lauter Erquickung an seinen eigenen Bildern vergessen haben, daß sein Film zwar im Mittelalter spielt, um die damaligen Verhältnisse in Kontrast zur heutigen Teilnahmslosigkeit zu setzen, daß aber nach den heutigen Spielregeln die Mitwirkenden eines Films mittlerweile ein — wenn schon nicht immer ein verbrieftes, dann zumindest moralisches — Recht auf ordentliche Entlohnung haben. Den Karrieristen der Filmstiftung mag das egal sein, einem Mann wie Greenaway hätte das Wohlergehen seiner Mitarbeiter ein Anliegen sein müssen. So werden die Herstellungsbedingungen des Films zur Karikatur seines Inhalts. Wie sagte Peter Greenaway einmal: „Vom Unendlichen aus betrachtet ist der einzelne Mensch unwichtig.“ Man muß ihm entgegenhalten: Ohne den Einzelnen gibt es auch für Peter Greenaway keine Unendlichkeit.Manfred Trost