Was ist denn in Eduard gefahren?

■ Schewardnadse nimmt Abchasien mit Waffengewalt

Was ist denn in Eduard gefahren? Schewardnadse nimmt Abchasien mit Waffengewalt

Er hatte unser aller Sympathie. Eduard Schewardnadse als Friedensengel aus dem „Reich des Bösen“. Ruhig, besonnen und kompromißbereit, vor allem aber ein Gesprächspartner. Eine Überraschung auf der internationalen Bühne, die nicht vorbereitet war auf soviel Gewandheit aus dem auch intellektuell stagnierenden Sowjetimperium. Er erfüllte alle Wünsche, gab Ostmitteleuropa frei und warnte schleßlich vor den schwarzen Obristen. Eine integre Figur, mag er auch früher einmal KGB-Chef in Georgien gewesen sein. Jetzt ist er wieder in seiner Heimat, die ihn nicht nur mit Lorbeerzweigen begrüßte. Er hatte es schwer, als ehemaliger „Vasall“ der Russen in Tiflis Fuß zu fassen. Es scheint ihm gelungen. Die Aufgabe, das ethnisch und politisch zerfurchte und chaotische Georgien „zurück nach Europa zu führen“ lastet dennoch schwerer auf seinen Schultern, als das ehemalige Großreich friedlich zu demontieren. Schewardnadse ist nicht mehr der Alte. Er lächelt kaum noch. Statt dessen schickt er Truppen in die abtrünnige Republik Abchasien und geriert sich als kaukasischer Märchenerzähler. Aus Gegnern wurden „Kräfte des Bösen“. Die Metamorphose des Eduard Schewardnadse?

Die Befriedung Georgiens ist eine Aufgabe von herkulischen Ausmaßen. Jeder Sterbliche, ein noch so geschickter Politiker wäre damit überfordert. Mal überdecken sich die innenpolitischen Konfliktlinien mit ethnischen Sonderwünschen, mal sind es Clanstrukturen oder einfache kriminelle Banden, die eine geordnete Politik unmöglich machen. Der ehemalige Internationalist Schewardnadse hat sich seiner Umgebung angepaßt. Will er sein Hauptziel erreichen, die territoriale Integrität Georgiens bewahren und den Kaukasusstaat auf den Weg der Reformen führen, muß auch er sich nationalistischer Töne bedienen. Das ist zur Zeit das einzige, was in Georgien zieht. Zudem stehen Wahlen vor der Tür. Ein rigoroses Vorgehen gegen die hunderttausend Abchasen kann da nur zusätzliche Stimmen bringen. Zumal er sich sachlich auf terroristische Akte aus Suchumi beziehen kann. Eine Entführung seiner Ministerriege entspricht nicht gerade einem Fair play. Der Einsatz von Gewalt mag da durchaus gerechtfertigt sein. Allerdings erweckt das Vorgehen in der Sommerfrische zwiespältige Gefühle. Hier werden zwei Dinge in einen Topf geworfen. Die Interessen einer nationalen Minderheit und ihre radikalen Auswüchse.

Schewardnadse ist sich mit Sicherheit bewußt, daß der aggressive Nationalismus seines Volkes die Gegenreaktionen anderer Volksgruppen nur provoziert. Er ist schlau genug, um zu wissen, in dieser Region, dem kaukasischen Babel mit zig unterschiedlichen Sprachen, kann jedes Volk für seine Version der Geschichte Anspruch auf Wahrheit erheben. Doch damit löst man keine Probleme mehr. Vorsichtige Vermittlungsbemühungen seinerseits wurden von der Gegenseite kompromißlos abgeschmettert. Zögern hätte ihm in Georgien keiner verziehen. Spätestens bei den Wahlen im Oktober hätte man ihn, gnädige Richter vorausgesetzt, in die Berge geschickt. Schewardnadse wußte, worauf er sich bei seiner Rückkehr nach Georgien einließ. „Es wandelt niemand ungestraft unter Palmen und die Gesinnungen ändern sich gewiß in einem Lande, wo Elefanten und Tiger zu Hause sind“, so Goethe, und Schewardnadses Vorgehen in Suchumi bestätigt die Weisheit des Olympiers. Doch noch ist er, Schewardnadse, die einzige Gewähr gegen einen mörderischen georgischen Nationalismus. Klaus-Helge Donath