„Was wir brauchen, ist eine Entrümpelung“

■ Nach Auffassung von Kritikern greift die Homo-Ehe zu kurz, da sie stukturell nichts ändere; es müßten alle Lebensgemeinschaften, ob hetero oder gleichgeschlechtlich, rechtlich gleichgestellt werden

Die Forderung des Schwulenverbandes in Deutschland (SVD) nach der Homo-Ehe ist unter Lesben und Schwulen nicht unumstritten. Der zweite schwule Dachverband, der Bundesverband Homosexualität (BVH), unterstützt die Aktion nicht. „Homo-Ehe — ohne uns“, hieß es aus dem lesbischen Dachverband Lesbenring. Auch die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF) hält die Homo-Ehe für einen untauglichen Ansatz zur Gleichstellung hetero- und homosexueller Paare.

Alle drei Organisationen setzen sich für eine weitergehende Regelung ein, nämlich für die Gleichstellung aller Lebensgemeinschaften. „Das gilt für die mit und ohne Trauschein, für Alleinerziehende und gemeinsam Erziehende, für hetero- und gleichgeschlechtliche Paare oder wie immer zusammengesetzte Wohngemeinschaften, die sich als Familie verstehen“, erläutert die AsF-Vorsitzende Karin Junker. „Unter dieser Gleichstellung verstehen wir aber nicht die Orientierung am jetzigen Recht, das einseitig patriarchale Privilegien beziehungsweise Benachteiligungen enthält. Wir brauchen eine Entrümpelung und Neufassung des einschlägigen Rechts, das von einer emanzipatorischen Beziehung ausgeht und, wo erforderlich, eigenständige Rechtsansprüche einführt — und diese dann eben für alle Lebensgemeinschaften.“

Die AsF will die materiellen Privilegien der Ehe wie das Ehegatten- splitting abschaffen und setzt sich für eine eigenständige Sicherung von verheirateten und unverheirateten Partnern im Rentenrecht und in der Krankenversicherung ein. „Nach unserer Auffassung ist es der falsche Ansatz, auch für Schwule und Lesben die Ehegemeinschaft zu fordern, weil damit strukturell nichts verändert wird. Wenn sie gewünscht wird, muß aber auch die Ehe als Lebensform möglich sein“, meint Karin Junker. Für die Sprecherin des Lesbenrings, Jutta Oesterle-Schwerin, ist „der Ruf nach der Ehe für Lesben und Schwule ein Griff nach bestimmten Privilegien, was den Kampf für die Abschaffung derselben beziehungsweise den Kampf gegen die Benachteiligung aller Unverheirateten erschwert, wenn nicht unmöglich macht.“ Die Grünen-Politikerin plädiert dafür, die Diskriminierung lesbischer und schwuler Partnerschaften durch die Reform einzelner Gesetze zu beenden. Detaillierte Vorschläge hat sie bereits 1989 in einem Papier mit dem programmatischen Titel „Macht die Mottenkiste zu!“ vorgestellt: Damit auch Lesben und Schwule das Recht bekommen, ihre PartnerInnen im Krankenhaus, in der Psychiatrie oder im Gefängnis zu besuchen, müßte lediglich der Begriff des Angehörigen erweitert werden. Dieses Recht müßte dann auch für unverheiratete Heteropärchen gelten. Das Zeugnisverweigerungsrecht, das bisher nur für Ehepartner oder Verlobte gilt, müßte auf Personen ausgedehnt werden, mit denen der oder die Beschuldigte „eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft führt“.

Jutta Oesterle-Schwerin fordert auch, den sozialen Wohnungsbau für unverheiratete Paare, homosexuelle Lebensgemeinschaften und Wohngemeinschaften zu öffnen. Durch eine Änderung des Ausländergesetzes müßten lesbische oder schwule PartnerInnen, die nicht aus EG-Ländern stammen, ein Aufenthaltsrecht erhalten. Auch das Erbrecht, so die Grüne, müsse neu geregelt werden. „Während den EhegattInnen beim Tod der PartnerIn auf jeden Fall diejenigen Gegenstände aus dem gemeinsamen Haushalt als ,voraus‘ zufallen, die zur angemessenen Führung des Haushaltes gehören, können Familienangehörige verstorbener LebenspartnerInnen der oder dem Überlebenden dies alles wegnehmen.“ Oesterle-Schwerin fordert, den Paragraph 1932 BGB zumindest auf LebenspartnerInnen zu erweitern, mit denen die oder der Verstorbene einen gemeinsamen Haushalt geführt hat. Was die Frage der Erbschaftssteuer betrifft, fordert sie den gleichen Erbschaftssteuersatz für alle. „Ich werde mich deswegen nicht für die diesbezügliche Gleichstellung von Lebenspartnerinnen mit Ehepaaren einsetzen“, heißt es in dem Papier. Dorothee Winden