Lohn auch ohne Arbeit

■ Episoden aus der norddeutschen Rechtswirklichkeit: Chef, der Jobber feuert, erlebt vor Gericht sein blaues Wunder

: Chef, der Jobber feuert, erlebt vor Gericht sein blaues Wunder

Jobber R. hat mit seinem Arbeitgeber Streit. R. fährt seit eineinhalb Jahren im Firmenwagen Fertig- Mahlzeiten aus. Dabei passierte ihm ein Allerweltsunfall mit Blechschaden, wie er in unserem hektischen Straßenverkehr jedem passieren kann. Nun wirft der Arbeitgeber R. vor, sein Eigentum beschädigt zu haben, und verlangt Schadenersatz für Reparaturkosten und Verdienstausfall, insgesamt einige tausend Märker. Gleichzeitig kündigt er R. fristgerecht, laut Arbeitsvertrag sind das zwei Wochen.

Beides findet R. ungerecht, auch weil er meint, an dem Unfall gar nicht schuld gewesen zu sein. Allerdings hat er eine Geldbuße ohne Protest gezahlt; der zugrundeliegende Bußgeldbescheid ist rechtsgültig geworden, die Verkehrs- Ordnungswidrigkeit steht damit fest. Weiter beklagt sich R., daß ihn sein Chef, für den er so lange Zeit zu einem relativ geringen Jobberlohn gearbeitet hat, nach dem ersten Vorfall so einfach fallenläßt, und dann auch noch mit für ihn unbezahlbaren Gegenforderungen überzieht. Mit so einem Chef will er dann auch nichts mehr zu tun haben, er kommt gar nicht auf die Idee, gegen die Kündigung vorzugehen. Die Klagefrist verstreicht.

Nur weil der Arbeitgeber einen

1restlichen Lohnanspruch von 226 Mark und zwölf Pfennigen für seine Gegenansprüche einbehält, kommt es doch noch zum Rechtsstreit. Vor dem Arbeitsgericht Hamburg erlebt der Arbeitgeber sein blaues Wunder, und auch R. traut seinen Augen nicht. Denn der Richter hält die zweiwöchige Kündigungsfrist für verfassungswidrig. Die Kündigung vom 31. Mai kann nach seiner Ansicht nicht Mitte Juni wirksam werden, sondern erst zum 30. September. Das entspricht der gesetzlichen Regelung für Angestellte. R., der als Fahrer ja Arbeiter ist, kann sich auf den Gleichheitsgrundsatz berufen. Wie ein Angestellter kann er verlangen, nur mit einer Frist von sechs Wochen zum Quartalsende gekündigt zu werden (§ 622 Abs. 1 BGB). Das hat der Anwalt des Arbeiters schon in der Klage vorgetragen und Nachzahlung des Lohns für den gesamten Zeitraum bis September, fast 5000 Mark, verlangt. Arbeitgeber M. fordert mit seiner Gegenklage den Schadenersatz für das kaputte Auto.

Das Gericht spricht in seinem Urteil R. die verlängerte Kündigungsfrist und die Lohn-Nachforderung zu. Denn das Bundesverfassungsgericht habe den Paragraphen im BGB, wonach Arbeiter schneller, also mit kürzerer Frist gekündigt werden können als Angestellte, wegen Verletzung des Gleichheitsgebots für ungültig erklärt. Folglich müsse auch für Arbeiter R. die längere Kündigungsfrist der Angestellten gelten. Sein Arbeitsverhältnis endete also erst am 30. September. Und da sein Chef es versäumt hatte, ihm in der verbleibenden Zeit Arbeit zuzuweisen, muß R. auch nicht nacharbeiten. Er kriegt also Lohn, ohne zwischen Juni und September dafür gearbeitet zu haben.

Schadenersatz bekam der Arbeitgeber nicht, weil aus dem, was er dem Gericht über den Unfall erzählte, keine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung des R. abgeleitet werden konnte. 226 Mark und zwölf Pfennige, und was daraus geworden ist ... justus