In zwei Stunden um die Welt

■ Eine musikallische Zeitmaschine macht immer noch grandiose Musik: Mario Bauza & his Afro-Cuban Jazz Orchestra bei den Heimatklängen im Tempodrom

In der vorletzten Woche ihrer diesjährigen Existenz präsentieren uns die Heimatklänge noch einmal einen musikalischen Leckerbissen. Mario Bauza hat seinen einundachtzigsten Geburtstag und über fünfzig Jahre im Musikgeschäft hinter sich, kurz vorm Ableben scheint er aber noch lange nicht zu sein. Das hat er neben der Musik wahrscheinlich seiner ungebremsten Lebensfreude zu verdanken: Hinter der Bühne stellt er seine fünfundzwanzigjährige Ehefrau Lourdes Bauza vor, raucht eine lange Havanna und genießt das Berliner Dosenbier. Seiner Frau gibt er zu verstehen, daß er sich noch ein wenig mit den jungen Mädchen am Tisch unterhalten möchte.

Wenn man sich vorstellt, daß dieser Mann mit Charlie Parker auf der Bühne stand und als der »Entdecker« von Ella Fitzgerald gilt, als diese noch ein Teenager war, fühlt man sich in der Gegenwart Bauzas in eine musikalische Zeitmaschine versetzt. Mit Sechzehn besuchte der gebürtige Kubaner zum ersten Mal New York. Als er dann mit Anfang Zwanzig seine Heimat Kuba verließ, um als Musiker in Nueva York ein neues Leben zu beginnen, schulte er innerhalb von zwei Wochen vom Saxophon zur Trompete um — Trompeter waren gesucht in den Bigbands der dreißiger Jahre. Swing hieß die Musik, die man spielen und hören wollte.

Bauza hatte aber mehr aus Kuba mitgebracht als ein Gefühl für Swing. Im Koffer eingeschmuggelt in die USA hatte er Mambo, Salsa, Cha Cha Cha, Rumba und all die anderen Rhythmen Lateinamerikas. 1941 war die Zeit für Bauza endlich reif, um mehr als Swing zu spielen: Mario Bauza und Machito gründeten ihr Afro-Cuban Orchestra. Wochenlang spielten sie im Rotationsverfahren mit dem Orchester Tito Puentes im Palladium am Broadway.

Ihre Mischung aus afro-kubanischer Musik und Jazz, den Bauza in den Zwanzigern in Kuba hauptsächlich durch amerikanische Platten kennengelernt hatte, veränderte die musikalische Landkarte. Die Amerikaner entdeckten die Musik der Länder, die sie politisch und touristisch schon immer gern als ihre »Vorgärten« betrachtet hatten und die sie am liebsten von Militärdiktaturen und Herrscherfamilien gepflegt sahen.

Wer nun glaubt, im Tempodrom eine angestaubte Rentnerband mit einem Opa (wie ein Fotograf Bauza nannte) als Chef präsentiert zu bekommen, irrt gewaltig. Der Auftritt des »Mario Bauza Afro-Cuban Orchestra« 1992 hat auch nichts von einem billigen Rivival. Bauza fällt einem zunächst gar nicht groß auf, er reiht sich ein in die Bläsersektion seines zweiundzwanzigköpfigen Orchesters und spielt Saxophon, neben Musikern die Mitte Zwanzig sein mögen. Das Gefühl, jemanden vor sich zu haben, der eine vielleicht altersbedingte Ruhe und Würde ausstrahlt, bekommt man erst bei seinen Ansagen. »Nun spielen wir erstmal etwas ruhigeres, damit ihr euch ein wenig erholen könnt«, sagt Bauza nach der krachenden Eröffnungsnummer in einer kruden Mischung aus Amerikanisch und Spanisch. »Als nächstes Stück ein Blues, aber ein ganz besonderer...«

Das Orchester tastet sich durch die ruhigen Nummern, scheint aber immer schon zu lauern auf den nächsten von unzähligen Bläsern machtvoll angeführten Einsatz. Neben den Bläsern setzen sich besonders die vier Mitglieder der Conga-, Bongo- und Drumabteilung im Ohr fest. Sie sind federführend in der Herstellung des Latinrhythmus. Die zum Teil hochkarätig besetzten Bläser — der zweite Trompeter Michael Mossman spielte mit Dizzy Gillespie und unlängst mit Gerry Mulligan — vertreten vornehmlich den Jazzpart.

Scharniere im Stilmischmasch dieses Superorchesters im Big-Band- Format bilden die Sänger. Als da wäre Graciela Perez, eine Schwester Machitos, die am Sonntag im Tempodrom ihren siebenundsiebzigsten Geburtstag feiert. Ihr kahlköpfiger Kollege Rudy Calzado, vom Format Opernsänger und Barkeeper in einer Person, schunkelt mit Graciela über die Bühne. Carlos »Patato« Valdez, kleinster Congaspieler der Welt und auch nicht mehr der Jüngste, zuckelt mit seiner blauen Schlägermütze hinter Graciela her und legt einen flotten Mambo mit der alten Dame aufs Parkett. Diese ganze Truppe ist so etwas von liebenswürdig und dabei auch noch musikalisch so voll auf der Höhe der Zeit, daß man sich bei jedem einzeln bedanken möchte für diese grandiose Zeit- und Stilreise: in zwei Stunden rund um die Welt und durch das Jahrhundert, das alles bei freiem Eintritt und Blick in den Himmel. Andreas Becker

»Mario Bauza & his Afro-Cuban Jazz Orchestra« sind noch bis Sonntag im Tempodrom zu sehen. Ebenfalls am Sonntag um 21.30 läuft der Film zur Band: Mambo Kings (USA 1992)