INTERVIEW
: »Es ist provinziell, überall mit dem Auto hinkommen zu wollen«

■ Interview mit Peter Conradi, SPD-Bundestagsabgeordneter, zum Hauptstadtvertrag/ Keine Nord-Süd-Verbindung durch das Regierungsviertel

taz: Wie bewerten Sie den Vertrag zwischen Berlin und dem Bund, der am 25. August unterschrieben wird?

Peter Conradi: Ich finde ihn im wesentlichen akzeptabel. Ich bin froh, daß sich Berlin insoweit durchgesetzt hat, daß es keinen Vorrang von Bundesbauten gegenüber anderen Belangen gibt. Der Bund kann nun nicht einfach anordnen, aber die Berliner müssen die Belange des Bundes prüfen und ernst nehmen.

Aber die Bundesbelange haben besonderes Gewicht.

Das haben sie auch dann, wenn man es nicht festschreibt, das ist die verfassungsrechtliche Situation. Natürlich setzen sich die Bundesvorhaben nicht gegenüber schwerwiegenden ökologischen Belangen durch. Aber sie setzen sich gegen Berliner Verkehrswünsche durch, etwa daß alle Autos durchs Regierungsviertel fahren können.

Was hieße das konkret etwa beim Bau eines Bürohauses für Abgeordnete?

Das hieße, daß man beim Abwägungsprozeß dem Bau des Bürogebäudes nicht entgegenhalten kann, daß dann eine Grünfläche im Spreebogen verschwindet.

Hier ist ein sehr umstrittener Autotunnel geplant, der aber den Durchgangsverkehr aus dem Regierungsviertel heraushalten wird. Hätte dieser Tunnel nach dem Hauptstadtvertrag mehr Gewicht gegenüber einer möglichen Grundwasserabsenkung im Tiergarten?

Wenn der Tunnel dort nicht möglich ist, muß Berlin seinen Nord-Süd-Verkehr an anderer Stelle organisieren. Bundestag und Regierung ziehen in einen Bereich, in dem möglichst wenig mit dem Auto gefahren werden soll, weil dort wöchentlich Tausende von Besuchern kommen. Durch den Bereich kann Berlin nicht seine Nord-Süd-Verbindung legen. Und wir wollen, daß das Kanzleramt in Sichtbeziehung zum Parlament gebaut wird und daß der Kanzler in fünf Minuten zu Fuß im Parlament ist. Das ist eine politische Beziehung, und die ist nun wirklich wichtiger als der Berliner Nord- Süd-Durchgangsverkehr. Ich finde es provinziell, es haben zu wollen wie in einer Kleinstadt, wo es das Wichtigste ist, daß man mit dem Auto überall hinkommt.

Wir plädieren gar nicht dafür, daß man mit dem Auto überall hinkommt. Aber viele Umweltschützer befürchten, daß der Senat die Regierungsviertelplanung als Vorwand benutzt, um den Autotunnel durchzusetzen.

Der Bundestag braucht den Tunnel nicht, wir haben ihn nicht verlangt. Wir haben keine Ausfahrt, wir benützen ihn nicht, aber wir werden nicht zulassen, daß später durch das Bundestagsgelände zahllose Berliner Autos fahren. Wie Berlin seinen Nord-Süd-Verkehr regelt — durch die Friedrichstraße oder wie auch immer —, ist Sache Berlins.

Zurück zum Hauptstadtvertrag: Hat denn der Bund gefordert — wie der Senat immer behauptet —, daß Berlin mit einer Stimme spricht und die Bezirke deshalb bei Bundesbauvorhaben nicht mehr gefragt werden?

Die Erfahrungen in Berlin sind so, daß Planungsvorhaben hier länger dauern als in anderen Städten und daß viel bei den Bezirken liegenbleibt. Wenn Berlin auf der einen Seite fordert, Bundestag und Regierung sollten schnell kommen, dann muß Berlin dafür sorgen, daß das auch schnell vorwärtsgeht und nicht eine Bezirksversammlung ein Vorhaben monatelang blockiert. Aber wie die Berliner das machen, das ist ihre Sache.

In der Praxis sieht das so aus, daß es zum Beispiel einen großen innerstädtischen Bereich gibt — wesentlich größer als der Regierungsbereich — in dem die Bezirke die Kompetenz bei der Verkehrsplanung abgeben.

Das entscheidet Berlin in eigener Hoheit. Ich weiß, daß das Verhältnis zwischen Senat und Abgeordnetenhaus zu den Bezirken nicht besonders erfreulich ist. Die Informationen von der höheren Ebene zu den Bezirken tröpfeln eher, und die frühzeitige Beteiligung findet nicht statt. Aber wie Berlin das organisiert, ist nicht unsere Sache. Uns liegt daran, daß die Bezirke uns gerne da haben wollen. Das heißt, wir, der Bundestag, legen Wert auf große Öffentlichkeit, frühe Information und lebhafte Diskussion, und wir wollen nicht gegen die Berliner etwas machen. Wir sind ja nicht Mercedes-Benz.

Denken Sie, daß der Bundestag dem Vertrag in dieser Form zustimmen wird?

Ja.

Interview: Eva Schweitzer