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KOMMENTARKein Zweck heiligt die Mittel

■ Tricks bei der Stadtratswahl schaden der Demokratie

In der Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung gilt das Motto: Die rechtsradikalen »Republikaner« dürfen keinen Stadtrat bekommen. Über Monate verhandelten SPD und AL ohne Erfolg. Eine Zählgemeinschaft zu bilden verbot ihnen das Verwaltungsgericht, die Idee einer »Antifafraktion« aus Sozis und ALern wurde fallengelassen. Die Möglichkeit, einen Rep zu wählen, ihm aber alle Kompetenzen abzunehmen, wurde ebenfalls erwogen. Schließlich tritt einer der Igel zur SPD über, selbstverständlich nur, weil sein Gewissen ihn verpflichtet, heißt es. Glücklicherweise löst sich so das Patt auf — der Stadtrat geht an die SPD.

Sowohl Sozialdemokraten als auch Alternative verteidigten am Mittwoch das alles beinahe ausnahmslos. Hauptsache sei doch, ein Rep-Stadtrat werde verhindert, wer weiß, was der alles anrichten könne, bis hin zur erzwungenen pünktlichen Schließung türkischer Geschäfte. Und die geprellten Wähler der Reps hätten das doch bis zur nächsten Wahl wieder vergessen.

Wir erinnern uns: So ähnlich ist es der AL auch mal ergangen. Vor gut zehn Jahren wurden den Igel-Stadträten die Kompetenzen von den Altparteien beschnitten und AL-Politiker, die zu populär wurden, nicht wiedergewählt — alles im Namen der Demokratie. Denn dazu gehörte, die linksradikalen Schmuddelkinder aus den Parlamenten herauszuhalten, da heiligte der Zweck die Mittel.

Und was lehrt uns das? Genützt hat es nichts, denn die Igel legten Jahr um Jahr an Wählerprozenten zu. Aber dafür ist die AL heute genauso zu einer Altpartei geworden, für die der Zweck die Mittel heiligt. Wieweit man mit dieser Art hemdsärmeligen Antifaschismus kommt, hat die DDR gerade vorgemacht. Wer so den Wählerwillen verfälscht, braucht sich nicht zu wundern, wenn die Parteienverdrossenheit zunimmt. Ähnliches gilt auch für den Umgang mit der PDS in den Ostbezirken. Die Geschäftsordnungsmätzchen, mit denen die Partei von den Fleischtöpfen ferngehalten werden soll, schaden letztlich der Demokratie. Eva Schweitzer

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