Ich bekenne: ich schreibe

■ Das Hamburger „Literaturlabor“, Vorbild für viele Organisationen nicht-professioneller AlltagsliteratInnen, steht vor dem Aus

Reißt uns die Typen einzeln aus der Schreibmaschine. Egal. Kein Wort bleibt ungesagt“, schrieben vier junge Hamburger Autoren unlängst an ihre Kultursenatorin Christina Weiss und forderten den Erhalt des Hamburger Literaturlabors. Wie vielen Anfang der 80er Jahre gegründeten Kulturinitiativen droht auch dieser Mischung aus Textwerkstatt, Leseforum und Servicebüro für Nachwuchsautoren heute das Ende: die ABM-Stellen werden gestrichen. Unterzeichnet wurde die Petition von prominenten Hamburger Kollegen wie dem Krimiautor Frank Göhre und dem Schriftsteller Hermann Peter Piwitt.

Die Freunde von heute sind die Feinde von gestern, denn vor genau zehn Jahren, im Sommer 1982, kam es zu einem Eklat, der als „Dichterstreit“ in die Annalen einging. Zum wiederholten Male fand in Hamburg das Autoren-Festival „Literatrubel“ statt, ein aus Protest gegen die gediegene „Literaturmesse“ ins Leben gerufenes Spektakel. Diesmal beteiligte sich auch der damals noch unter dem Namen „Literaturpost“ formierte Haufen selbsternannter „Alltagsschreiber“ am Programm. Auf den offiziellen Einladungen fanden empfindsame Berufsautoren ihren Namen plötzlich neben dem irgendeines Hitzlifutzlis abgedruckt, der dann auf dem Podium auch noch über das Arbeitsamt, sein WG-Frühstück oder die Männergruppe dichtete — und waren empört.

Im Namen seiner Kollegen verhöhnte Piwitt in der Frankfurter Rundschau den „organisierten Dilettantismus“ und polemisierte, daß Hamburgs Literatur somit ihren Niedergang mit dem der Sozialdemokratie teile. Drastischere Worte fand Frank Göhre in seinem Brief wider die Bekenntnisschreibe: „Ich habe die Schnauze voll, wenn ich lese und höre, wie die Schar der Hobbyschreiber allerorten vom ohnehin mageren Kulturetat fette Brocken einsacken.“

Die Beschimpften veralberten in ihrer Hauspostille mit dem bescheidenen Namen Bundesliteraturblatt via Selbstanzeigen die Angriffe der „obersten Literatenhansels“ von Hamburg: „Ich bekenne, ich habe geschrieben.“

Doch während die sensible Kooperation zwischen Hamburgs Literaten, ohnehin schon aufgerieben im Positionsstreit zwischen Gewerkschaftsautoren, Individualperformern und Camparitrinkern, bald zerbröselte, hatte die basisdemokratische Schreibbewegung alias „Literaturpost“ gerade erst losgelegt.

Triebkraft war die in Hamburg lebende Dichterin Frederike Frei, die, nachdem sie 1976 mit ihrem Bauchladen voller Gedichte auf der Frankfurter Buchmesse zum erstenmal Furore gemacht hatte, sich nun ganz der organisierten Breitenliteratur widmete. Ausgestattet mit einer überschäumenden poetischen Fantasie und Frechheit und besessen von der Idee, sich selbst und allen Menschen das Schreiben zu entdecken, bezog sie mit ihren Mitstreitern 1980 — die Miete wurde per Spendenaufruf vorfinanziert — ein altes Ladenlokal im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel.

Der rege Betrieb der „Literaturpost“ — die sich erst auf Einschreiten der Bundespost umbenennen mußte — fand rasch Nachahmer in Bremen, dem Ruhrgebiet und Schwaben. Dank überregionaler Adreßkarteien wurden die gesammelten „Gebrauchstexte“ durch die ganze Republik versandt. Außerdem bestimmten Lesungen zu „Dicksein als Frau“, „Lieben“ oder „Blühen und Brüllen“, dem Motto des ersten und einzigen Literaturbüro-Bundestreffens in der Hamburger Markthalle, das Programm.

Heute arbeitet der Verein mit zwei ABM-Kräften und einem festen Kern von rund 20 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Die Projektmittel aus dem Kulturhaushalt lagen 1992 bei 14.000 Mark. Geblieben vom Aktionismus der ersten Jahre ist unter anderem das regelmäßige „Textlektorat zum Kennenlernen“, das nach wie vor für alles und jeden offen ist.

Nicht zuletzt deshalb wird die Arbeit des Literaturlabors heute von vielen Seiten geschätzt. Sei es, weil man wie Frank Göhre die „Erstschreiber, die sich privat Ratschläge zu ihrem Manuskript erbitten“, guten Gewissens ans Literaturlabor verweisen kann, oder weil, wie Hermann Peter Piwitt sagt, die potentiellen Nachwuchsautoren dort keine „Schwellenangst“ vor einer Öffentlichkeit haben müssen. So hat das Büro auch einige Debütanten beim Weg zum ersten Buch unterstützt.

Das „Literaturlabor“ ist in der Hansestadt noch keineswegs überflüssig. Denn so sehr den gelegentlichen Besucher manchmal das Niveau der munteren Assoziation zum Thema Urlaub nerven kann, so muß man dem Literaturbüro eines lassen, was andere ähnlich initiativ begründete Institutionen längst aufgegeben haben: Den Raum für experimentelle Sprachformen und kollektive Zusammenarbeit.

Denn das Dilemma ist nicht, daß sich eine Institution wie diese ständig aus sich selbst heraus erneuern muß, weil das persönliche, unbezahlte Engagement des Einzelnen spätestens mit der Professionalisierung der eigenen Arbeit schwindet. Das Dilemma ist vielmehr, daß sich das Hamburger Literaturgeschehen ansonsten hinter der schmucken Fassade des sogenannten „Literaturhauses“ abspielt, dessen prestigesüchtige Programmacher die jährliche Regelförderung von 300.000 Mark zwar in international besetzte, reine Vorlesekultur ummünzen, sich aber um eine kontinuierliche Neubelebung der Literaturdiskussion und -produktion vor Ort nicht kümmern.

Deshalb braucht Hamburg sein Literaturlabor, und über neue, nicht nur finanzielle Modalitäten, die die Arbeit dort gewährleisten, sollte schleunigst nachgedacht und verhandelt werden. Die Literaturlaboranten, die bis Ende des Monats eine finanzielle Zusage fordern, um die Miete für ihre Räume bezahlen zu können, haben auf dem Hamburger Rathausmarkt gestern ostentativ das Denkmal eines Mannes verhüllt, der schon im vorigen Jahrhundert das Unverhältnis der hanseatischen Vereins- und Pfeffersäcke zu den Literaten der Stadt beklagt hat: Heinrich Heine. Mechthild Bausch