"Europa im Krieg"-betr.: "Der Bankrott der kritischen Intellektuellen" von Dunja Melcic", taz vom 15.8.92 / betr.: "Für Jugoslawien" von Peter Handke, taz vom 14.8.92

betr.: „Der Bankrott der kritischen Intellektuellen“ von Dunja Melcic, taz vom 15.8.92

[...] Ich war kein aktiver 68er, habe aber ihre Hoffnungen und Depressionen mitgelitten. Was hat ihr Selbstverständnis mit dem zu tun, was Frau Melcic als so eine Art Allerweltsaufgeregtheit auffaßt. Zu allererst haben sie sich von keiner Akademikerclique erzählen lassen, wo der Protest langgeht. Was Frau Melcic sagt, kann uns auch Herr Kohl sagen: Es wird uns ebensowenig in die vorderste Front der moralisch Empörten bringen. Wie recht sie haben in ihren Absichten! — Was wollen sie mehr, als daß wir Ruhe halten?!

Wenn die schweigende Mehrheit sich empörte, hatten wir allemal das Maul zu halten. Nun tut sie es einmal zu Recht, also schweigen wir freiwillig, den Platz der Avantgarde ihren künftigen MeinungsführerInnen voll überlassend. Sie werden es vielleicht einmal registrieren, daß wir auch künftig sein werden, wo sie uns nie vermuteten: überall da, wo sich ihre Aufgeblasenheit ausruht und in der Phrase dröhnt.

Uns war Vietnam Befreiung, Afghanistan Depression, Iran Imperialismus des „dritten Wegs“, Irak die übliche Rettung einer Diktatur ins Inferno. Wo das Grauen der Verfolgten den Genuß der Militärs erst entflammte, war unser Abscheu der Ruf des Weltgewissens. (Wo waren sie, die Kritiker der Kritiker?)

In Jugoslawien wird auf Welt und Gewissen gepfiffen, vor der Entschuldigung noch rasch ein Kopf abgeschnitten, vor der Waffenruhe noch rasch eine Familie liquidiert, der letzte Kulturdreck zum Lebensziel proklamiert — und alles wie bisher. Der Spießerstolz hat die Souvenirsbude verlassen und Schlafzimmer und Kasernen besetzt. Die Politik leckt Stiefel. Wo Blut fließen soll, gehört auch das zum Üblichen.

Das Schmutzige an den jugoslawischen Metzeleien ist darüber hinaus, daß die sich in die Panzer schwingenden Volksschullehrer sich so überlegen gegenüber den Massakrierern anderer Regionen, etwa in Ruanda, vorkommen, welche doch immerhin noch im Stand der relativen Unschuld historischer Desorientierung sind.

Hätte Frau Melcic weniger Heidegger verteidigt als Hannah Arendt gelesen, sie könnte ihre Augen nicht vor dem Umstand verschließen, daß es sich hier nicht um einen Eroberungskrieg handelt, sondern um den Wettlauf räuberischer Klubs in Uniform um den Rest Reichtum. Eine von Amokläufern getriebene Sozietät können Worte und Gedanken nicht aufhalten. Hier sind nicht Intellektuelle, sondern Polizisten gefordert. Wer aber will schon nach dem Irak noch einmal den Sheriff rufen? Tun es die Opfer — werde ich mich nicht in den Weg stellen. Aber ich sehe auch dann nicht ein, daß ich Hilfssheriff oder Bürgerwehr spiele. — Es sind genug Leute mit der Knarre unterwegs! — Vielmehr glaube ich, daß auch der Sheriff wie die Moralisten es nötig haben, daß man/frau ihnen auf die Finger sieht.

Dann erst wird der Zeitpunkt gekommen sein festzustellen, ob die deutschen Intellektuellen sich weiterhin moralisch von Heidegger, Jünger und anderen negativen Vorläufern unterscheiden. Falls Frau Melcic also ernsthaft — nicht zu Zwecken der Selbstdarstellung — an der moralischen Parteinahme der „kritischen Intellektuellen“ Zweifel gehabt haben sollte, so mag sie der Feststellung glauben, daß auch dort ganz normale des Mitfühlens fähige Herzen schlagen. Sie mag aber weiter darauf achten, daß sie mit ihren Vorstellungen über das, was kritische Intellektuelle sind, nicht einem kritischen Intellekt über die Leber läuft. Klaus Wachowski, Alzey

[...] Als wenn außerhalb des kommunistischen Systems überall Selbstbestimmung geherrscht hätte! Tatsächlich gibt es etliche Völker innerhalb Westeuropas, die — nach moralischen Maßstäben — ein Anrecht auf einen eigenen Staat beanspruchen könnten, weil sie innerhalb von Staaten leben, in denen sie majorisiert werden — ganz demokratisch. „Warum kein Nationalstaat für uns?“ — könnten zum Beispiel Schotten, Walliser, Bretonen, Basken, Galicier und Korsen fragen — und zum Teil tun sie es auch. Aber ernsthafte, dahingehende Bestrebungen würden wohl eher als Terrorismus behandelt werden, und ein so verändertes Europa wäre wohl bald nicht mehr wiederzuerkennen.

Daß das Unbehagen und die Hilflosigkeit gegenüber dem Nationalsozialismus unter den kritischen Intellektuellen groß ist, kann meines Erachtens nur jemanden verwundern, der offenbar nur den eigenen kroatischen Nabel betrachtet. Schließlich lauert dergleichen auch in Deutschland — ohne daß uns jemand unterdrückt — geschürt von Leuten, die angesichts absetzbarer ökologischer Katastrophen und ökonomischer Krisen, denen sie aus Profitgründen nicht vorbeugen wollen, Sündenböcke brauchen, und eines „gesunden Volksempfindens“, das offenbar mit den gleichen idiotischen Parolen wie vor 50 Jahren zu mobilisieren ist — und von paramilitärischen Gruppen, die auch hier, unterstützt von reichen Geldgebern, schon den Bürgerkrieg proben — nach ihren eigenen Aussagen — vor denen offenbar sogar die Polizei schon Angst hat — um ihr nicht Schlimmeres zu unterstellen!

Ich fühle mich angesichts dessen an einen alten Gruselfilm: „Die Nacht der reitenden Leichen“ erinnert, und das ist der Grund, warum zum Beispiel ich mit „Nationalismen“ erhebliche Probleme habe. Die „Impulsion des Kommunismus“ hat, jedenfalls im ehemaligen Jugoslawien, die Situation der Menschenrechte keineswegs verbessert. Leider. Elvira Büchner, Berlin

betr.: „Für Jugoslawien“ von Peter Handke, taz vom 14.8.92

Peter Handke war doch ehrlich: „Konrad hat das Beste gesagt.“ Warum habt Ihr's nicht bei dem Satz belassen? Ellhard Behrends, Ganderkeree

Die Kopfbedeckungen hierzulande und anderswo sind gewiß ein hinreißendes Thema, die Wünsche in den Köpfen darunter aber manchmal nicht minder. Darum möchte ich die taz auffordern, von Peter Handke eine Erklärung einzuholen, wie er sich das denn vorstellt mit „Deutschland, dem ich endlich auch einen Bürgerkrieg wünsche“. Genau so stand das da in seinem Begleitbrief zum Jugoslawien-Text — so ganz nebenbei hingeworfen!

Hat da einfach das Deodorant versagt, oder meint er das etwa wirklich? Also bitte ganz genau: Wer gegen wen (mal wieder Bayern gegen Preußen oder vielleicht mal abwechslungshalber Ossis gegen Wessis oder gar der PEN-Club gegen den „kriegsgewinnlerischen Spiegel“ — oder was?), mit welchen Waffen, hinter welchen Windmühlen, wieso „endlich“ — und vor allem: Warum und für wen soll das gut sein?

Mir (und mit mir hoffentlich recht viel anderen) mag dazu nämlich wirklich ganz und gar überhaupt nichts einfallen. Christoph Weise, West-Berlin