Schutzbedürftige Schutztruppen auf Sizilien

Großer Erfolg von 7.000 Anti-Mafia-Soldaten: zwei Taschendiebe, ein Zuhälter, sechs Kampfhunde ausgeschaltet  ■ Aus Sizilien Werner Raith

Als er seinen Marschbefehl nach Palermo erhielt, hatte Gianni Ambros vom 4. Fallschirmjägerregiment in Udine eine „zwar wenig erfreuliche, aber immerhin präzise Vorstellung von dem, was wir tun sollten“: Nach den Dynamit-Morden an den Anti- Mafia-Ermittlern Giovanni Falcone und Paolo Borsellino und nach zahlreichen Entführungen sollten 7.000 Soldaten des regulären Heeres zur Unterstützung der schon beträchtlichen 40.000 Polizisten und Carabinieri in die Brennpunkte der Mafia und der „Anonima sequestri“ genannten Entführerbanden auf Sardinien und Sizilien einrücken. Der allgemeine Auftrag an die Soldaten lautete: Gebäude- und Personenschutz. Sie sollten damit eine der aufwendigsten Aufgaben der italienischen Ordnungskräfte übernehmen, die normalerweise mehr als ein Drittel aller Carabinieri, Polizisten und Finanzwächter bindet.

Geschützt werden, von jeweils bis zu 36köpfigen Eskorten, Politiker und Richter, Staatsanwälte und Bankdirektoren, auch einige Priester und Journalisten, die sich im Kampf gegen die Mafia mausig gemacht haben. Insofern war der Einsatz der Militärs als Wachposten vor Banken, öffentlichen Ämtern und den Wohnungen zu schützender Personen als Rückgewinnung eigentlich polizeilicher Aufgaben für die dafür Zuständigen gedacht. „Doch nun“, sagt Gianni Ambros und rückt sich an der Piazza Politeama im Zentrum Palermos seine kugelsichere Weste zurecht, „schützen offenbar nicht wir die Carabinieri, sondern von denen tappt ständig einer hinter uns her, um uns zu schützen.“

Anlaß sind die tätlichen Angriffe, mehrere Pistolenschüsse und mittlerweile sogar eine Handgranate gegen Soldaten, die auf Sardinien stationiert sind. Noch ist zwar unklar, ob es sich dabei eher um Schabernack, um Eifersucht lokaler Pappagalli gegen „frauenschnuppernde Rekruten“ (la Repubblica), um einen aufkommenden sardischen Nationalismus oder um ein Aufbegehren der Entführerbanden handelt, die sich durch die Anwesenheit der Militärs in ihrem Wirkungskreis eingeengt fühlen.

Eifersüchteleien oder Nationalismus?

Doch Verteidigungsminister Salvo Ando, selbst Sizilianer aus Catania, weiß, welche Katastrophe die Ermordung auch nur eines einzigen Wehrpflichtigen bei einem derartigen landesinternen Einsatz wäre. Also hat er, gleichzeitig Oberkommandierender der Polizeiformation Carabinieri, nun die Soldaten ihrerseits unter Polizeischutz gestellt. „Absurder geht's nicht mehr“, murrt Giannis Kollege Carlo D'Andrea aus Genua und wischt sich den Schweiß unter seinem Stahlhelm weg.

Da hat er nicht unrecht. Und so wächst auch der Unmut in der Bevölkerung von Tag zu Tag. „Seit der Hampelmann da draußen mit seiner Maschinenpistole herumfuchtelt“, sagt Calogero Fabbro von der „Compravendita d'oro“ in der Via Isidoro Carini, „traut sich keiner mehr in meine Goldschmiede herein: die einen haben Angst, daß die Polizisten sie kontrollieren und sie dann wegen der Käufe Schwierigkeiten bei der Steuer kriegen, die anderen fürchten einen Überfall gerade auf die Soldaten selbst. Und manch einer hat bei uns einfach einen physischen Ekel vor Uniformierten.“

Milliarden Lire für die Stationierung

Calogero zuckt die Schultern, als ich ihn frage, ob er sich vorher sicherer fühlte, als er mit Sicherheit Schutzgeld, den „Pizzo“ bezahlen mußte und Raubüberfälle an der Tagesordnung waren — zwei Erscheinungen, die derzeit gegen Null tendieren: „Den ,Pizzo' bezahlen hier alle, sie werden dafür auch wirklich geschützt. Was denkst du, was passiert, wenn die Bullen und Soldaten wieder weg sind? Dann zahlt man wieder und die Gangster kommen auch wieder. Ewig können die doch Sizilien nicht besetzt halten.“

Der draußen vor der Tür postierte Obergefreite Carlo D'Amerla hat mitgehört und nickt: Sein Feldwebel hat ihm von einer internen Berechnung erzählt, wonach jeder Monat der Stationierung von Soldaten alleine in Palermo an die zwei Milliarden Lire, umgerechnet fast drei Millionen DM, kostet — auf die Insel umgelegt, muß der Staat monatlich mehr als dreißig Millionen DM für die Maßnahme ausgeben. „Lange können wir uns das nicht leisten.“

Etwas weniger sichtbar sind die Soldaten im südöstlichen Teil der Insel. In Syrakus, das in den letzten Jahren oft als Ausweichquartier für Mafiosi aus Palermo galt, stehen Soldaten nur an wenigen Stellen herum, fahren kaum Patrouillen durch die Gassen. In der Ausgrabungszone mit ihrem griechischen Theater und dem riesigen „Ohr des Dyonisos“ schieben sich die Touristen wie eh und je über die staubigen Wege. Nur vor der Quästur, dem Polizeipräsidium und vor einigen Carabinieri-Wachen stehen auch Soldaten, die meisten aber ohne Panzerweste und manche davon auch ohne Helm: „Not kennt kein Gebot“, witzelt einer der Rekruten, „und am Ende ist es gleich, ob ich durch eine Kugel oder durch Hitzschlag umkomme“.

Der Mißmut bei den Soldaten hat solide Gründe: „Jetzt könnten wir in unseren kühlen hochgelegenen Kasernen in Trient sitzen“, murrt ein Alpenjäger, „aber nein: Wegen dieser scheiß Sizilianer und ihrer Mafia müssen wir uns ein internes Feindbild suchen.“ Viele Soldaten aus Oberitalien sympathisieren mit dem Vorschlag der steil aufgestiegenen Politformation „Lega lombarda“. Sizilien solle von Italien abgetrennt werden und, so der „Liga“-Vordenker Gianfranco Miglio, „sich einfach selbst überlassen bleiben“. Daß Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro dies sofort hart gegeißelt hat, finden die meisten „edel“ und pflichtschuldig. „An einer Trennung früher oder später“, so der Alpenjäger „führt kein Weg vorbei“.

Geradezu gespenstisch wird die Situation in Catania, am Fuße des Ätna. Die Stadt ist fast leergefegt. Das hängt mit Ferragosto, der großen Ferienzeit zusammen, in der alle ans nahe Meer, in die Nobelorte Acireale oder Taormina oder auch an die schmutzigen, dafür aber freien Strände von Augusta gefahren sind. Doch da nun Passanten fast völlig fehlen, die Geschäfte weitgehend geschlossen sind, fallen die Uniformierten an jeder Straßenecke besonders auf. „Bilder wie im Libanon“, kommentierte der in Catania erscheinende Giornale di Sicilia und listete danach genüßlich die „grandiosen Erfolge“ auf, die die „Totalbesetzung unserer Stadt bisher erbracht hat“: Zwei Diebe wurden auf fast frischer Tat ertappt (in Wirklichkeit fiel einem beim Davonlaufen die Beute aus der Tasche), ein Zuhälter wurde gestellt sowie „die stattliche Anzahl von sechs Kampfhunden ausgeschaltet“. „Von der Festnahme großer Bosse aber und von der Verhinderung weiterer Morde“, so der Giornale di Sicilia, „ist nichts bekannt: statistisch läuft alles wie gewohnt“: alle zwei Tage, just das seit einigen Jahren erreichte Mittel, wird ein Unternehmer oder ein vorbestrafter kleiner Dealer, dazwischen auch ein Clanboss der mittleren Führungsebene umgebracht.

Die Mafia hat doch mehr Geld

Zurück in Palermo treffe ich wieder auf Gianni Ambros. Er bewacht mittlerweile den Hauptbahnhof. „Wenigstens habe ich hier Schatten“, freut er sich, „und ab und zu kommen auch Bekannte hier an.“ Längst hat er um Rückversetzung nach Udine gebeten, doch seine Vorgesetzten haben ihm klargemacht, daß sie „den Wunsch zwar herzlich gut verstehen — doch jeder Austausch kostet wieder Geld, und wir müssen sparen, sparen, sparen.“ Die Regierung muß, sonst gibt's keinen Zutritt zu den Reichen in der EG, mehr als hundert Milliarden DM auftreiben. „Wahrscheinlich verlieren wird den Kampf gegen die Mafia ganz einfach, weil uns das Geld ausgeht“, sagt Calogero Fabbro, der Goldhändler.

In seinen Worten ist nicht einmal Traurigkeit zu hören, und schon gar kein Entsetzen.