Flüchtlinge werden ausgehorcht

Tarnorganisation des BND macht „breite Befragungen“/ „Hauptstelle für Befragungswesen“ in allen Ländern aktiv/ In Berlin wirken Mitarbeiter der „Hauptstelle“ bei Asylverfahren mit  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Flüchtlinge und Aussiedler werden nach ihrer Ankunft in Deutschland offenbar von einer Tarnorganisation des Bundesnachrichtendienstes (BND) systematisch ausgehorcht. Das Amt mit Niederlassungen in allen Bundesländern hat den Namen „Hauptstelle für Befragungswesen“. In Düsseldorf residiert die Behörde, die seit 1958 existiert, mit 40 Mitarbeitern in der Immermannstraße 11. Gestern überreichten die Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe (Bündnis 90) und der grüne Landtagsabgeordnete Roland Appel dem Leiter der Düsseldorfer Hauptstelle eine symbolische „Schließungsverfügung“. Schon allein die Tatsache, daß die „Hauptstelle“ über alle Personendaten der Flüchtlinge verfüge, sei ein „ datenschutzrechtlicher Skandal“.

Es sei zu befürchten, so die Abgeordneten in einer gemeinsam mit Jürgen Roth für die Humanistische Union und Christian Ströbele für den Republikanischen Anwaltsverein verfaßten Erklärung, daß sensible Informationen, „die die Flüchtlinge möglicherweise noch unter dem Eindruck erlittener Verfolgung und Folter geben, für geheimdienstliche Zwecke mißbraucht oder gar an 'befreundete‘ Geheimdienste wie die des Nato-Partners Türkei weitergegeben werden“. Für abgelehnte Asylbewerber aus Kurdistan könne die Aushorchung durch die „Tarnadresse des BND“ fatale Folgen haben. Der Leiter der Düsseldorfer Zweigstelle, der sich mit Weinstein vorstellte, bestätigte gestern die großflächige Aushorchung. In den Aufnahmelagern finde zunächst „eine breite Befragung durch unsere Leute“ statt. Wer als Informant danach interessant erscheine, werde anschließend zu einer intensiven Befragung, die „eindeutig freiwillig ist“, gebeten. Die führe man zum Teil direkt in den Lagern oder aber in der Dienststelle selbst durch. Die Grünen präsentierten gestern die entsprechenden mehrsprachigen Einladungsschreiben an die Flüchtlinge. Darin wird die Befragung mit dem Interesse der Bundesregierung begründet, sich über die Veränderungen in den jeweiligen Heimatländern „fortlaufend zu unterrichten“. Auf diese Weise, so heißt es etwa in der englischen Fassung, würden die Befragten „einen wichtigen Beitrag für die Sicherheit“ der Bundesrepublik leisten. Es wird „strikte Vertraulichkeit“ zugesichert.

Nach den Worten des Düsseldorfer Hauptstellenleiters Weinstein untersteht seine Behörde direkt dem Bundeskanzleramt. Dort liegt auch die Verantwortung für den BND. Den Vorwurf, die „Hauptstelle“ sei eine Tarnorganisation des BND, wies Weinstein zurück. Er werde nicht vom BND bezahlt, um dann hinzuzufügen: „Wenn das so wäre, würde ich das sicher nicht zugeben“.

Die Zentrale der „Hauptstelle für Befragungswesen“ sitzt nach Weinsteins Worten in der Münchener Theresienstraße 16. Wie praktisch, wo doch in München-Pullach auch der BND residiert. Datenschutzrechtlich sieht Weinstein kein Problem. Der Datenschutzbeauftragte der Bundesregierung besuche seine Behörde regelmäßig. Beanstandungen gebe es nicht. In die Asylverfahren finde die Vernehmung der Hauptstelle keinen Eingang. Verbindungen zu den für die Asylgewährung zuständigen Behörden bestünden nicht. Weinstein wörtlich: „Wir sind an der Aufklärung der politischen Lage interessiert“.

In Berlin ist eine Verbindung zwischen der „Hauptstelle für Befragungswesen“ und der Ausländerbehörde unterdessen nachgewiesen worden. Bei der Anhörung von Asylbewerbern aus der ehemaligen Sowjetunion war ein Mitarbeiter der Hauptstelle anwesend. Das geht aus der Antwort der Berliner Justizsenatorin auf eine Kleine Anfrage des AL-Abgeordneten Wolfgang Wieland vom 22. 7. 92 hervor. In „Einzelfällen“ sei es möglich, daß Mitarbeiter der Hauptstelle bei der Anhörung zum Asylverfahren Dolmetscherdienste leisteten. Der Senat schließe auch nicht aus, daß „der Russisch sprechende Mitarbeiter der Dienststelle in Einzelfällen aus der ehemaligen Sowjetunion stammende Personen bei sich empfängt und die Befragung dort fortsetzt“, schrieb Justizsenatorin Jutta Limbach.