Guter Patriarch, guter Präsident

■ Der rechte Flügel der Republikaner hatte den "gigantischen Kindergeburtstag" fest im Griff. Kontroversen über innerhalb der Partei umstrittene Themen, wie Abtreibung, Homosexualität oder gar die...

Guter Patriarch, guter Präsident Der rechte Flügel der Republikaner hatte den „gigantischen Kindergeburtstag“ fest im Griff. Kontroversen über innerhalb der Partei umstrittene Themen, wie Abtreibung, Homosexualität oder gar die US-Wirtschaftspolitik, konnten vermieden werden. Statt dessen scharten sich die Delegierten um ihre Familienväter Bush und Quayle sowie deren Ladies

AUS HOUSTON ANDREA BÖHM

Zielsicher steuern die zwei älteren Herren in Schlips und Anzug auf den wohlgerundeten Leib zu. Bis auf zwanzig Zentimeter kommen sie heran, beugen die Köpfe etwas herab, studieren erst die Brustpartie, dann die linke und die rechte Bauchhälfte. Kurzes, konzentriertes Überlegen, dann piekt der eine seinen Zeigefinger etwa in Höhe des Blinddarms. „Die da möchte ich haben.“ Floyd Gonzales senkt nun ebenfalls seinen Kopf, zieht die Plakette mit dem Konterfei von George Bush und Dan Quayle aus seinem Hemd, Größe XL, und mustert das gute Stück. „Vier Dollar“, sagt er, „es sei denn, Sie haben eine zum Tauschen.“ Der Kunde muß passen und zückt die Scheine.

Gonzales kramt seine Tageseinnahmen aus der Hosentasche — ein ansehnliches Bündel von Dollarnoten, mit der sich eine angenehme Nacht im Kasino verbingen ließe. Aber Floyd Gonzales ist nicht zu seinem Vergnügen hier, „sondern zum Wohl des Landes“, wie er ganz ernsthaft sagt. Der 26jährige Delegierte aus dem Bundesstaat Louisiana tauscht und verkauft Wahlkampfplaketten und finanziert damit seine Reise- und Hotelkosten.

Ein Bauchladen wäre ihm zu umständlich — schließlich muß er nebenbei noch diskutieren, abstimmen, viel jubeln, hüpfen und diverse Fähnchen schwenken. Deshalb hat er seinen eigenen Bauch, der an sich schon stattlich ist, von oben bis unten mit Wahlkampfplaketten bestückt. Dieser Alupanzer verleiht ihm einen Hauch von Rittertum, der allerdings durch den knallroten Cowboyhut aus Stroh relativiert wird.

Quayle-Revival

Eines ist sicher: Inmitten der Masse von gebräunten, glattrasierten, frischgefönten Delegierten in Anzug und schneeweißen Hemden fällt Floyd Gonzales auf. Und das ist gut fürs Geschäft.

Die (Plaketten-)Börse im „Astrodome“ von Houston — einer gigantischen Mehrzweckhalle, in der sonst Football- und Baseballspiele veranstaltet werden — sagt einiges über das politische Klima des Parteitages aus. Floyds Verkaufsschlager ist eine selbstentworfene Plakette mit der für Außenstehende unverständlich erscheinenden Aufschrift Dan Is Right And Murphy 's A Tramp.

Dan ist in diesem Fall Dan Quayle, und mit Murphy ist keine reale Person, sondern die Hauptrolle der populären TV-Serie „Murphy Brown“ gemeint. Murphy Brown ist eine erfolgreiche Journalistin, die vor einigen Monaten nach dem Willen der Drehbuchautoren ein Kind bekam — ohne den dazugehörigen Vater zu heiraten. Dies wiederum veranlaßte den US-Vizepräsidenten, die Film- und Fernsehindustrie des Sittenverfalls zu beschuldigen, weil sie immer weniger Achtung für Ehe und Familie zeigten.

Die US-Medien stürzten sich damals mit hämischer Begeisterung auf Quayle — in der Annahme, diese idiotische Attacke würde den angeschlagenen Vizepräsidenten noch weiter ramponieren. Heute sind family values, also das Heil der Familie, zentraler Bestandteil des republikanischen Wahlkampfs, Dan Quayle wird als Präsidentschaftskandidat für 1996 gehandelt, und der Tauschkurs für Floyds Plakette steht bei 1:3.

Staat, Steuern, Sex

Wenn man den Amerikanern Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit unterstellt, dann ist Floyd Gonzales ein leuchtendes Gegenbeispiel: Mit achtzehn ist er in seiner Heimatstadt Baton Rouge in die Partei eingetreten. Seitdem hat er an jeder Wahl teilgenommen — egal ob es sich um den Präsidenten handelte oder um den lokalen Staatsanwalt. „Ich komme aus einer neuen Basisbewegung von jungen Konservativen“, sagt er. „Wir verlangen von unseren Politikern wieder mehr Prinzipientreue statt Opportunismus.“ Das Etikett des „echten Republikaners“ verleiht Floyd Gonzales nach einem bestimmten Reinheitsgebot: Der Kandidat muß sich in der Vergangenheit als feste Bastion gegen Staat, Steuern und Sex im Fernsehen erwiesen haben. „Dann kann man ihn als Republikaner wirklich unterstützen.“

„Der Staat“, philosophiert er, während ein paar Interessenten in einer Rednerpause andächtig seine Plaketten-Kollektion bestaunen, „ist nur dazu da, das Land gegen Gefahr von außen zu verteidigen und um zu vermitteln und zu schlichten, wenn es zu einem Konflikt zwischen zwei Bürgern kommt.“

Von dieser goldenen Regel macht Floyd eine entscheidende Ausnahme: bei der Frage der Abtreibung darf sich Vater Staat durchaus einmischen. Hier wird der gelernte Buchhalter missionarisch. Seine Plakette mit der Aufschrift Keep The Party Pro-Life verteilt er umsonst. „Ich will die Message unter die Leute bringen.“

Das Revival des Dan Quayle, eines der bemerkenswertesten Ergebnisse dieses Parteitags, ist unter anderem auf Leute wie Floyd Gonzales zurückzuführen.

Houston 1992 — das war ohne Zweifel der Parteitag des rechten Flügels der Republikaner. Dabei hat sich in den letzten Jahren in der Partei das Spektrum enorm erweitert, mit zum Teil völlig konträren Ansichten unterschiedlicher Fraktionen in Fragen wie Abtreibung, Schulgebet, Homosexuelle im Militär. So viel Meinungsvielfalt sind die Republikaner nicht gewohnt. Da bahnen sich grundlegende Auseinandersetzungen über ein neues Wertesystem an. Ein heiliges Durcheinander sei das, meint der ehemalige Erziehungsminister und einer der intellektuellen Köpfe der Partei, William Bennet. „Aber es ist ein verdammt interessantes Durcheinander.“

Doch Chaos kurz vor den Wahlen, wenn der eigene Kandidat in den Umfragen weit zurückliegt, ist schlecht — so viel haben die Republikaner von den Demokraten gelernt. Deswegen war von dem Durcheinander auf dem Parteitag nichts mehr zu hören und zu sehen.

Nun sind US-amerikanische Parteitage ohnehin keine Diskussionsveranstaltungen, sondern gleichen eher gigantischen Kindergeburtstagen, in denen die Stimmung der Basis und des Fernsehpublikums gehoben werden soll. Doch in Houston hätte es fast eine öffentliche Debatte um eines der umstrittensten Themen innerhalb der republikanischen Partei gegeben: Die Abtreibungsfrage.

„Wir haben das verhindert“, sagt Floyd Gonzales und stochert mit bescheidenem Lächeln in den Eiswürfeln seiner Cola herum. Ganze sechs Delegationen hätten den Antrag auf öffentliche Debatte unterzeichnen müssen. Doch, wo immer die VertreterInnen der „Pro Choice“-Fraktion auftauchten und um Unterstützung warben, hatten sie Mitarbeiter des Bush-Quayle-Teams auf den Fersen — oder überzeugte Missionare wie Floyd Gonzales. „Sobald eine Delegation umzufallen droht, werden sämtliche Mitglieder per Telefon oder in persönlichen Gesprächen bearbeitet — wenn es sein muß, bis vier Uhr morgens.“

So viel Engagement geht an die Substanz. Durchschnittlich drei Stunden hat er in den letzten Tagen geschlafen, jeden Abend nach getaner Arbeit noch Parteiparties besucht, um am frühen Morgen wieder Plaketten zu produzieren. Am Ende hatte er Ringe unter den Augen und war ein bißchen blaß um die Nase. Doch der Streß hatte sich gelohnt: Die Debatte wurde abgewehrt, Ann Stone, Sprecherin der „Republicans pro Choice“, durfte nicht einmal unter den Delegierten Platz nehmen.

Entzückte Christen

Der offizielle Standpunkt der Partei in Sachen Abtreibung lautet nun — zumindest während des Wahlkampfs — so: „Wir glauben, daß das ungeborene Kind ein fundamentales Recht auf Leben hat, das nicht beeinträchtigt werden darf. Deswegen betonen wir noch einmal unsere Unterstützung für einen Zusatz zur Verfassung, der dieses Recht garantiert.“ Die Fundamentalisten der „Christian Coalition“ des Fernsehpredigers Pat Robertson waren entzückt und verteilten auf einem ihrer Empfänge zu Ehren Dan Quayles kleine Plastikföten; die „Republican Coalition for Choice“, eine der Lobbygruppen pro Abtreibungsfreiheit, hat ihre Wahlempfehlung für George Bush zurückgezogen.

Diesen Schritt hat die „Log Cabin Federation“, ein Zusammenschluß schwuler Republikaner-Vereine mit rund 6.000 Mitgliedern, bereits letzte Woche vollzogen. „Wir sehen nicht einfach still zu, wie Schwule zum Sündenbock dieses Wahlkampfs gemacht werden“, erklärte ihr Vorsitzender Rich Tafel. 1988 durfte die Organisation noch bei den Anhörungen zum Wahlkampfprogramm teilnehmen. Dieses Mal wurden sie ausgeschlossen, und im Wahlkampfprogramm spricht sich die Partei ausdrücklich gegen die Ehe für Homosexuelle aus.

Nicht daß die ausgebliebene Wahlempfehlung der „Log Cabin Federation“ unter den 2.210 Delegierten größere Bestürzung ausgelöst hätte. Schwule passen nicht ins Konzept der family values, sondern, so der Tenor auf dem Parteitag in Houston, in die Demokratische Partei. Und so wurde das verbale gay bashing auf diesem Parteitag fast zur Obsession. Als Pat Buchanan, der erzreaktionäre Rivale von George Bush aus den Vorwahlen, in seiner Rede den Parteitag der Demokraten als „größte Transvestitenshow“ und das Team Clinton/Gore als „schwulen- und lesbenfreundlichste Kandidaten“ der amerikanischen Geschichte bezeichnete, da erntete er zustimmendes Johlen — und mitten im Block der Louisiana Delegation stand Floyd Gonzales und johlte mit.

Was an Homosexuellen so fürchterlich bedrohlich ist? „Privat“, sagt Gonzales, „kann jeder machen, was er will.“ Aber die Gesellschaft als Ganzes sollte doch besser auf „stabilen Familien“ basieren.

Auch die Stellungnahme zum Thema Aids liest sich eher wie das Bekenntnis einer Bibelgruppe aus der Prärie als einer politischen Partei aus dem Jahre 1992: „Wir stellen fest, daß Prävention unweigerlich mit persönlicher Verantwortung und und moralischem Verhalten verknüpft ist. Die Verteilung von sauberen Spritzen oder von Kondomen ist keine Lösung, um die Verbreitung von Aids zu stoppen. Dies kann vielmehr durch eine Erziehung geleistet werden, in der eheliche Treue, Abstinenz und ein drogenfreies Leben im Vordergrund stehen.“

Dieses erzkonservative Programm wurde auf dem Parteitag mit modernen Mitteln verkauft: Man gab den Frauen das Wort. Nachdem die vorwiegend männlichen Redner in den ersten beiden Tagen den politischen Gegner beschimpft, den Untergang des Ostblocks besungen und dann mit etwas verkrampftem Enthusiasmus die politischen Qualitäten des George Bush gepriesen hatten, durfte am Mittwoch abend Marilyn Quayle das Wort ergreifen.

Ladies' Night

Die Second Lady präsentierte sich und ihren Gatten als die konservative Mehrheit der Baby-Boomer Generation. „Nicht alle haben damals Drogen genommen, den Wehrdienst verweigert und die sexuelle Revolution praktiziert“, erklärte sie — und durch die Reihen der Delegierten ging ein bestätigendes Kopfnicken. Dann schilderte die ehemalige Anwältin, die ihre Karriere für den Werdegang ihres Gatten aufgegeben hat, wieviel Erfüllung sie in der Rolle als Mutter und Begleiterin ihres Mannes habe — ein klarer Seitenhieb gegen die potentielle First Lady der anderen Seite, Hilary Clinton, die von den Wahlkampfstrategen im Bush/Quayle-Team mit Vorliebe als feministisches Schreckgespenst im Weißen Haus geschildert wird.

Dann, als Höhepunkt des Abends, kam sie: die First Lady Barbara Bush, die erste Präsidentengattin, die kurz vor den Wahlen in der Bevölkerung doppelt so populär ist wie ihr Ehemann. Er habe den Eindruck, sagt ein Fernsehkommentator, viele Delegierte und Wähler hofften inständig, irgend jemand würde ihnen endlich eine „Entschuldigung geben, den farblosen George Bush zu wählen“. Am Mittwoch war sie endlich da — in Gestalt der „Großmutter der Nation“, die ihren George als „klügsten, stärksten, wärmsten und anständigsten Mann anpries, der ihr je begegnet sei.

Müßte zum Beispiel die CDU im deutschen Wahlkampf in ähnlicher Form auf Hannelore Kohl zurückgreifen, wäre das fast eine politische Bankrotterklärung. In Houston jedoch erwies sich dieses Manöver als voller Erfolg. Es war das Fensehbild des Parteitages, als sich nach der Rede der First Lady George Bush mit zwei Enkelkindern um den Hals und dem Rest der Großfamilie drumherum von den begeisterten Delegierten feiern ließ. Vergessen war zumindest für einen Moment der Schatten seines Vorgängers Ronald Reagan, der am Montag noch frenetisch bejubelt wurde. Vergessen war Bushs Todsünde, vor zwei Jahren einer Steuererhöhung zugestimmt zu haben, vergessen die Gerüchte um seinen angeblich angegriffenen Gesundheitszustand. Wer ein solch guter Patriarch ist, der kann kein schlechter Präsident sein.