Brasilien schüttelt seinen Präsidenten ab

Der korruptionsverdächtige Präsident Collor wird immer unbeliebter, will aber nicht zurücktreten  ■ Aus Rio Astrid Prange

Brasilien hat keine Regierung mehr. Zwar befinden sich Präsident Fernando Collor de Mello und seine Minister noch im Amt, doch regiert wird das Land augenblicklich von den täglichen Enthüllungen der parlamentarischen Untersuchungskomission (CPI). Schon jetzt steht fest, daß der Abschlußbericht der Kommission im brasilianischen Parlament zu einem Antrag auf Amtsenthebung Collors führen wird.

Der erste Schritt dazu ist die Abstimmung über den CPI-Abschlußbericht am kommenden Mittwoch. Nach Angaben von CPI-Vorsitzenden Benito Gama wird Präsident Collor in dem Abschlußbericht „mangelndes Verantwortungsbewußtsein“, „fehlende Amtswürde“ und „passive Korruption“ vorgeworfen. Der Amtsenthebungsantrag wird spätestens am 9.September im brasilianischen Parlament vorliegen. Dies versicherten gestern der Verein brasilianischer Rechtsanwälte (OAB) und der brasilianische Presseklub (ABI), die den Antrag unterzeichnen werden.

Sollte die für die Amtsenthebung notwendige Zweidrittel-Mehrheit unter den insgesamt 503 Parlamentariern zustande kommen, was jeden Tag wahrscheinlicher wird, sinken Collors Chancen, sich im Amt zu halten, auf ein Minimum. Laut Verfassung wird er dann für 180 Tage aus seinem Amt entfernt, und der Mißtrauensantrag wandert weiter in den Senat. Wenn auch dort zwei Drittel der Senatoren für die Amtsenthebung stimmen, wäre Präsident Collor sein Amt endgültig los.

Ibsen Pinheiro, Vorsitzender des brasilianischen Parlaments, bezieht eindeutig Stellung: „Der Kongreß wird die Erwartungen des brasilianischen Volkes nicht enttäuschen. Politische Solidarität mit Verbrechern ist ausgeschlossen.“ Auch CPI-Chef Gama, der sich in der unbequemen Situation befindet, als Mitglied der Regierungspartei die Untersuchungen gegen Präsident Collor anzuführen, geht langsam zu seinem Staatsoberhaupt auf Distanz: „Unsere Partei unterstützt die Regierung, aber nicht ihre Fehler.“

Die politische Krise hat sich auch negativ auf die brasilianische Wirtschaft ausgewirkt: Die Börsen schreiben Verluste, Investitionen werden zurückgehalten, die Inflation steigt. Wirtschaftsminister Marcilio Marquez Moreira muß täglich Rücktrittsgerüchte seiner Mannschaft sowie der ganzen Ministerriege dementieren.

Doch Präsident Collor denkt nicht daran, dem Land den Gefallen zu tun, freiwillig zurückzutreten. Gegenüber der Tageszeitung Folha de Sao Paulo versicherte er kürzlich, daß er den Regierungspalast nur „tot“ verlassen werde. José Dirceu, Abgeordneter der linken Arbeiterpatei (PT) warnt davor, den Präsidenten zu unterschätzen. Collor würde nicht vor unsauberen Methoden zurückschrecken. Dirceu erinnert daran, daß Collor während der Wahlkampfkampagne 1989 Schlägertrupps bestellte, um die Schuld an Tumulten während der Kundgebungen der PT in die Schuhe zu schieben. Damals verkaufte sich Collor dem Volk noch als Jäger der Korrupten — Cacador dos Marajas — und gewann damit die ersten freien Präsidentschaftswahlen nach 25 Jahren Militärdiktatur. Heute ist er als einer der korruptesten Präsidenten der brasilianischen Geschichte entlarvt.

„Collor und seine Mafia haben die Grenze überschritten,“ beschreibt Dirceu die Stimmung. „Entweder es gilt gleiches Recht für alle, oder Brasilien hat keine Zukunft.“