„Ich wollte hier keine Nachhilfe in Theorie“

Verfassungskonvent der Frauen auf der Fraueninsel im Chiemsee als Vortragsmarathon/ Zahme Veranstaltung unter der Regie von SPD-Spitzenpolitikerinnen/ Forderungen aus der Defensive/ Frauen aus den neuen Ländern schwach vertreten  ■ Von C. Emundts/H. Thomsen

Chiemsee (taz) — „Die Politikerin steht für die Anpassung an das Männliche“, schrieb Alice Schwarzer 1989. Ulla Schmidt, Gleichstellungsexpertin der SPD-Bundestagsfraktion, würde diese Einschätzung sicher entrüstet von sich weisen. Kämpft Ulla Schmidt nicht für die wahrhaftige Gleichberechtigung von Frau und Mann? Hat Ulla Schmidt nicht am Chiemsee einen großen Frauenkonvent zu Verfassungsfragen organisiert?

Rund 200 Frauen schifften sich am sonnigen Donnerstagmorgen in Richtung Fraueninsel ein. Dort erwartete sie im Benediktinerinnenkloster das Tagesmotto in mächtigen Lettern: „Von Herrenchiemsee 1948 nach Frauenchiemsee 1992“. Die Herreninsel im Chiemsee liegt vom Kloster aus gesehen zum Greifen nahe. Die beiden Veranstaltungen allerdings trennten Welten. 1948 hatten 31 Männer ganz unter sich drei Wochen lang über dem Grundgesetz gebrütet. 44 Jahre später jagten 17 Referentinnen in einem Neun-Stunden-Marathon durch den dicken Katalog der Frauenforderungen an die künftige gesamtdeutsche Verfassung. Sieben Minuten Redezeit für jede — Politikerinnen ausgenommen. Ob den Damen der SPD da wohl der Bundestag Pate stand? Zuzutrauen wär es ihnen.

Ulla Schmidt, ihres Zeichens Vorsitzende der „Querschnittsgruppe Gleichstellung von Frau und Mann“ innerhalb der SPD, eröffnete die Veranstaltung mit einem Eigenlob. Die „überaus positive Resonanz“ auf den Frauenkonvent sei „ein Silberstreif am Horizont der Politikverdrossenheit“. Sie erhoffe sich von der Veranstaltung, Defizite aufzuarbeiten und so öffentlichen Druck auf die Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat auszulösen. Schmidt setzt auf die Männer: Die Verzahnung der Erfahrungen beider Geschlechter sei die „Gewinnformel der Zukunft“. Rechte der Frauen will die Kompromißexpertin der SPD mit männlicher Hilfe durchsetzen. Nur drei Viertel der Mitglieder in der Verfassungskommission sind männlich, 54 Prozent der deutschen Bevölkerung sind Frauen.

„Es gehört eine ganze Menge Ignoranz dazu, die Forderung der paritätischen Besetzung der Verfassungkommission einfach abzutun“, sagte die Ostberliner Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe. Sie erinnerte an die 1990 am Runden Tisch der sich auflösenden DDR erhobenen Frauenforderungen. „Ich bemerke die Angst der Politiker, daß Ideen aus der DDR verwirklicht werden könnten“, so Poppe. Ihr Plädoyer gegen Gesetze aus dem „politischen Hinterzimmer“ lautete denn konsequenterweise: Wiedereinführung des Volksentscheids.

Auch die bayerische SPD-Chefin Renate Schmidt hatte beim Empfang am Mittwoch abend gewarnt, die Diskussion auf „vermeintlich weibliche Belange zu reduzieren“. In der neuen Verfassung dürften nicht länger männliche Denk- und Verhaltensmuster zum Maßstab des Zusammenlebens werden. Marieluise Beck, Mitglied der Bremer Bürgerschaft, fügte hinzu: „Mann kann nicht zum Maßstab für berufliches Fortkommen gemacht werden.“ Es gehe nicht an, daß Frauen ihre Karriere mit Kinderverzicht erkaufen müßten. Die „Trägerinnen eines potentiellen Geburtsrisikos“, so IG- Metall-Vorstandsmitglied Gudrun Hamacher, seien die Verlierinnen der Einheit.

Das ist nicht neu. Die meisten Sängerinnen des Klosterchors im Chiemsee sangen das alte Lied vom Leid. „Wir brauchen eine Reform der abgeleiteten Ansprüche hin zu eigenständigen Ansprüchen“, forderte dagegen die Rechtsphilosophin Monika Frommel. Die SPD-Organisatorinnen kamen aus ihrer Defensive nicht heraus. Inhalt und Form ihrer Debatte sind bloße Reaktionen auf den männlichen Politdiskurs. So wollte Ulla Schmidt unbedingt mit einem handfesten Ergebnis in Form einer Resolution nach Bonn abreisen. Obwohl diese nicht schriftlich vorlag, setzte sie in letztlich vier Eckpunkten eine Deklaration durch: Recht auf Abtreibung, Umsetzen von Gleichstellung, Schutz von Lebensgemeinschaften und Alleinerziehenden anstatt Denkmalschutz der Ehe sowie Gleichstellung der Frau in der Sprache. Auf Punkt eins bestand das Plenum, Punkt zwei ist so minimalistisch formuliert, daß Männer zustimmen können und Punkt drei ist längst konsensfähig in der Verfassungskommission. Die Umsetzung von Punkt vier liegt völlig im Dunkeln.

Während der Dampfer schon ungeduldig tutete, hämmerte Ulla Schmidt mit flammenden Worten und erhobenen Fäusten ihre Eckpunkte ein. Obwohl der Erfolg der Veranstaltung mager ausfiel — die Profilierung der SPD-Frauen nach außen gelang allemal. Wirkliche Spitzen hatten sie sorgsam umgangen: Keine Ausländerin, keine Vertreterin von Autonomen, keine Lesbe, keine Ingrid Strobl. Von 200 Konferenz-Teilnehmerinnen kamen insgesamt rund zehn aus den Neuen Ländern. „Die Westfrauen hatten mal wieder die Federführung“, ärgerte sich eine von ihnen.

Mit Titeln gespickte Profifrauen — Politikerinnen, Vertreterinnen aus der Wirtschaft, Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Verbandsfrauen waren geladen. Von Hausfrauen (etwa die Hälfte der weiblichen Bevölkerung) keine Spur. Und auch eine Fließbandarbeiterin suchte frau vergebens. Frauenrechte, einstmals Angriff auf die Gesellschaftsstrukturen durch Frauen der Grünen und Autonome, versickerten am Donnerstag in den seichten Gewässern des Chiemsees, in den systemimmanenten und männertreuen Programmen der SPD-Frauen.

„Ich wollte hier keine Nachhilfe in Theorie“, kritisierte die Düsseldorfer Gleichstellungsbeauftragte Gesine Spieß. Sie unterstellte den Veranstalterinnen, eine Mogelpackung geschnürt zu haben: „Hier wurde mit falschen Karten gespielt“.

„Unsere Forderungen gehen auf Kosten männlicher Privilegien“, erinnerte unangenehmerweise Alice Schwarzer die Damen. Doch selbst in dieser zahmen Runde war Konsens schwierig: „Die bunte Versammlung wird es schwer haben, sich auf die wesentlichen Forderungen festzulegen — und noch schwerer, sie durchzusetzen“, so die Emma-Chefin. Die Berliner Filmemacherin Ula Stöckl zog auf der Rückfahrt das Resumée: „Übriggeblieben ist nur die Realität, die heißt, man muß Konsens schaffen für das, was machbar ist. Und das ist oder scheint so minimal, daß ich traurig und enttäuscht zurückbleibe.“