Phantom von Bremerhaven schlägt zu

■ Explosion vor Polizeirevier / entschärfte Bombe bei der DVU / Polizei im dunkeln

Gestern morgen, 5 Uhr 22; Ein Streifenwagen des Bremerhavener Polizeireviers Lehe fährt vom Hof. Plötzlich ein greller Blitz, ein gewaltiger Knall. Ein Scherbenregen prasselt auf die Straße. Im ersten Stock rufen die Beamten aus dem Streifenwagen über Funk ihre Kollegen der Wache: „Seid Ihr in die Luft geflogen?“ Von dort kommt die Antwort: „Im zweiten Stock hat es eine Explosion gegeben.“

Inzwischen weiß man es besser: Ein Unbekannter hat einen Sprengsatz gegenüber dem Polizeihaus gezündet. Die Detonation zerstörte über vier Stockwerke die Fensterscheiben und ließ noch in hundert Metern Entfernung Glas zersplitern. Nur durch ein Wunder wurde bei dem Attenrtat niemand verletzt.

Um 5 Uhr 55 explodierte eine Bombe in einer freistehenden Garage im Dorf Laven bei Bremerhaven — gottlob wieder nur Sachschaden. Scheinbar in Kenntnis von Feuerwerkstechnik hatte der Täter die Bombe gegenüber dem Polizeihaus an einer Wand abgelegt. Wäre der Sprengsatz an der Mauer des Polizeihauses explodiert, hätte es wohl wesentlich weniger Schaden gegeben. Stunden später wurde vor dem Büro der DVU im Ortsteil Suhrheide eine zweite Höllenmaschine gefunden. Der Spreng-Brandsatz konnte entschärft werden.

Im Polizeihaus der Seestadt sah es nach der Explosion chaotisch aus: Fußboden und Schreibtische der Wache Lehe waren scherbenübersät, das Fenster des darüberliegenden Drogenkomisariats hatte ein Splitter der Bombe durchschlagen, teuilweise waren die Fenster samt Rahmen aus der Halterung gesprengt. Schlechtgelaunt fegte der Kripochef am Vormittag die Scherben von seinem Schreibtisch.

Als Täter vermutet man den Unbekannten, der seit fünf Monaten die Polizei mit Gift-und Brandanschlägen in Atem hält. Im März hatte er erstmals mit leicht entzündlichen Gift-Pappen ein Hochhaus in Brand gesetzt. Davbei gab es 20 Verletzte, die meisten Polizeibeamte, die das Giftgas eingeatmet hatten. Im weiteren Verlauf legte der Täter mehrfach Gift am Polizeihaus und an der Wache Schiffdorf aus. Die Häuser von zwei Kripobeamten, die in der Sache ermittelten, gingen im Juni in Flammen auf. Es folgten weitere Brandanschläge in Leherheide, unter anderem wieder in einem Hochhaus in der Hans-Böckler-Straße, bei denen nur durch viel Glück niemand verletzt wurde. Es entstand bei den Anschlägen Schaden in Millionenhöhe.

Die Bremerhavener Polizei ist ratlos. „Wir tappen völlig im Dunkeln“, sagte gestern ein Polizeisprecher, „es gibt weder ein Motiv noch andere Anhaltspunkte.“ Aus Angst vor weiteren Attentaten wollen sich die Beamten weder fotografieren, noch namentlich nennen lassen. In Bremerhaven wächst die Furcht davor, daß bei weiteren Aktionen des Phantoms bald Menschenleben zu beklagen sind. Wäre die Bombe vor dem Polizeihaus zu einem späteren Zeitpunkt hochgegangen, wären mit Sicherheit Personen zu Schaden gekommen.

Wann kommt der nächste Anschlag? Der Täter, so vermutet die Kriminalpolizei, wird wahrscheinlich durch das wachsende Medienecho zu neuen Taten motiviert. „Wir können aber auch die Anschläge nicht totschweigen“, meinte der Bremerhavener Polizeisprecher.

Nur für die Glaser brachte die gestrige Attentatsserie einen positiven Aspekt: Für die Reparaturen am Polizewihaus, bei dem fast 50 teure Scheiben zu Bruch gegangen waren, mußten sie Sonderschichten einlegen. Lutz G. Wetzel