Deutscher Querkopf hinter Glas

■ »In der Sache Heinar Kipphardt« — Eine Ausstellung im Berliner Literaturhaus

Hinter dem schönen Wort Vitrine verbirgt sich in den meisten Fällen ein schnöder Glaskasten, rechteckig, hüfthoch, auf dürren Beien. Wer mit Vitrinen- Allergie geschlagen ist, Ausschläge oder das große Zittern bekommt, wenn er mit den Dingern konfrontiert wird, kann so gut wie keine Ausstellung der Welt besuchen. Denn die Vitrine ist der Volkswagen unter den Präsentationsmöbeln. Bei der vom Deutschen Literaturarchiv Marbach zusammengestellten und jetzt ans Berliner Literaturhaus weitergereichten Ausstellung »In der Sache Heinar Kipphardt« sind es, wenn ich richtig gezählt habe, derer zwölf. In den Vitrinen befinden sich die sogenannten Exponate, in unserem Falle überraschen wenige Erstausgaben, Übersetzungen und Kritikerstimmen, wie man sie sonst aus vielen hilflos zusammengeschusterten literarischen Ausstellungen gewohnt ist, sondern eine gut sortierte Mischung aus handschriftlichen Texten, biographischen Dokumenten, einer Handvoll Fotos sowie Materialien aus dem Umkreis jener drei Themen, mit denen sich Heinar Kipphardt sein Lebtag beschäftigt hat; der Verantwortung des Wissenschaftlers im Zeitalter der Atombombe, der Psychiatrie und natürlich der deutschen Katastrophe Nationalsozialismus — von Kipphardt in Abständen jeweils eines Jahrzehnts an den drei Figuren J. Robert Oppenheimer, dem schizophrenen Dichter Alexander März und Adolf Eichmann literarisch exemplifiziert.

Das Geheimnis solcher fast ausschließlich auf Lesematerial beschränkter Ausstellungen ist der rechte Zuschnitt aufs Wesentliche, und im Falle Kipphardts tat man gut daran, sich auf das Umfeld seiner drei Hauptwerke und auf die Biographie zu konzentrieren. Unter den ausgestellten Dokumenten befinden sich auch ein paar Gemmen wie etwa ein zorniger Brief Oppenheimers, der sich mißverstanden fühlte, ein fauchendes Solidaritätstelegramm Claus Peymanns (»Pfui der Münchner Kulturpolitik! Pfui ihrem Knecht Günter Grass!«) und Kipphardts Deutscher Nationalpreis III. Klasse, den ihm die DDR 1953 für sein Stück »Shakespeare dringend gesucht« verliehen — und 1960 wieder aberkannt hatte. Die ersten Vitrinen befinden sich übrigens passenderweise in einem braunen Raum, die anderen in einem weißen: Tatsächlich schrieb sich Kipphardt, wie alle guten Schriftsteller seiner Generation, langsam vom braunen Morast ins Weiße.

Heinar Kipphardt, Psychiater, Schriftsteller, Dramaturg, war nämlich ein exemplarischer Fall jenes widerspenstigen Deutschen, der die Nase in den gesellschaftlichen Wind hält, neugierig eine Weile mitmacht, bis ihm dann der Hut hochgeht und er das Zeug hinschmeißt, nicht ohne noch einmal gehörig Staub aufgewirbelt zu haben. So landete Kipphardt 1942 in der Reichswehr und türmte drei Jahre später, trat 1953 als Dramaturg am Deutschen Theater der SED bei, bis ihm das kulturpolitische Kotzen kam und er 1959 die DDR verließ und sich schließlich 1969, inzwischen als weltberühmter Autor, noch einmal als Dramaturg versuchte, bis ihn die Münchner Politprominenz zwei Jahre später wegen eines anstößigen Programmheftes hinauswarf. Kipphardt war 49, hatte die Schnauze voll und zog sich aufs Land zurück. Er hatte bis dato zehn Theaterstücke geschrieben, ganz nebenbei das deutsche Dokumentartheater weltberühmt gemacht und war mit Preisen überhäuft worden. Es sollten noch zwei Stücke, ein Roman und mehrere Bände Gedichte, Aufzeichnungen und Erzählungen hinzukommen, bis er 1982 sechzigjährig starb.

Wer weniger als 1,70 Meter groß oder gewillt ist, bleibende Rückenschäden hinzunehmen, kann sich in zwei Stunden über Vitrinen gebeugt tatsächlich ein Bild dieses deutschen Querkopfes verschaffen, auch ohne das für solche Ausstellungen üblicherweise nötig Vorwissen mitzubringen. Daß Kipphardts dokumentarisches Theater weit mehr war als eine Suche nach Antworten auf die politischen Fragen seiner Zeit, zeigt das überraschend große Interesse an der Wiederaufnahme einer älteren Inszenierung seines Stückes »Bruder Eichmann« an den Kammerspielen des Deutschen Theaters.

Im Anschluß an die Ausstellung empfehle ich einen Gang um die Ecke zum U-Bahnhof Kurfürstendamm, wo Dirk Sommers in der Dirty Windows Gallery, auch einer Vitrine, drei Schlüsselanhänger in der Form nackter Frauen als Hera, Athene und Aphrodite an Kleiderhaken aufgehängt und mit dem Titel »Mit den Augen des Paris« versehen hat. Heinar Kipphardt hätte das sicher gefallen. Günter Grosser

»In der Sache Heinar Kipphardt«, Literaturhaus Fasanenstraße 23, bis 19. September täglich außer montags 11-19 Uhr. Die Kammerspiele am Deutschen Theater zeigen »Bruder Eichmann« am 12. und 13. September