SPD hat Angst vor Thierses Absage

■ Heute gibt Wolfgang Thierse bekannt, ob er SPD-Chef werden will/ Bei einer Absage droht neuer Flügelstreit/ Tritt Buttgereit gegen Staffelt an?

Berlin. Rätselraten um Wolfgang Thierse: Ob der Ostberliner SPD- Star bereit ist, neben seinen bundespolitischen Funktionen auch das Amt des Berliner SPD-Chefs zu übernehmen, war gestern offener als je zuvor. Eine Meldung des Spiegels, Thierse habe sich bereits gegen eine Kandidatur entschieden, wurde in der Umgebung des Ostberliner Politikers als bloße »Vermutung« abqualifiziert. Der Spiegel habe Äußerungen von Thierse »so bewertet«, als sei die Entscheidung bereits gefallen. Gleichzeitig warnten Freunde des Ostberliners vor verfrühtem Optimismus. »Es ist alles drin«, sagte der SPD-Bundestagsabgeordnete Gerd Wartenberg zur taz.

Thierse, der sich am letzten Montag eine Woche Bedenkzeit ausbedungen hatte, will heute früh vor dem Geschäftsführenden Landesvorstand der SPD und anschließend vor der Öffentlichkeit bekanntgeben, ob er die Nachfolge des vor einer Woche zurückgetretenen Walter Momper übernimmt. Nach Angaben des Spiegels sind für den Ostberliner Politiker Forderungen verschiedener Vertreter des rechten SPD-Flügels »unannehmbar«, er solle als Parteichef antreten, aber gleichzeitig auf eine Spitzenkandidatur für die nächsten Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus verzichten. Wie die taz bereits am Donnerstag berichtet hatte, wollen viele Vertreter des rechten Flügels diese Funktion für Fraktionschef Ditmar Staffelt reservieren.

In der SPD sorgten die Spekulationen um Thierse gestern für beträchtliche Unruhe: Sollte Thierse absagen, droht ein neuer Flügelstreit zwischen Rechten und Linken. Die kommissarische Parteivorsitzende und Wortführerin der Linken, Monika Buttgereit, sagte gestern zur taz, sie habe die Äußerungen der Rechten von vornherein »für sehr schädlich gehalten«. Trete Thierse tatsächlich nicht an, stürze dies die Berliner SPD in »eine schwierige Situation«, meinte Buttgereit.

Für den Fall, daß Thierse verzichtet, hatte Fraktionschef Staffelt seine eigene Kandidatur angekündigt. Staffelt gehört zum linken Flügel, genießt jedoch vor allem die Unterstützung der Parteirechten. Während ihn die Rechten unterstützen würden, gibt es auf der Linken noch Vorbehalte. Teile des linken Flügels sehen nach Buttgereits Worten »Probleme«, wenn der Vorsitz von Partei und Fraktion in einer Person vereinigt wird. Die Parteilinke werde dann »darüber diskutieren müssen, ob sie einen Gegenkandidaten aufstellt«. In diesem Fall, so Buttgereit, wolle sie »eine Kandidatur von mir nicht ausschließen«.

Vertreter der elf Ostberliner Kreisverbände versuchten noch gestern nachmittag, für den Abend ein Treffen mit ihrem prominentesten Politiker zu arrangieren. Auch die Parteirechte bemühte sich um Schadensbegrenzung. Auf einem Treffen des »Britzer Kreises« am Samstag vormittag verzichteten ihre Vertreter darauf, die Forderung nach einer Spitzenkandidatur von Staffelt förmlich zu beschließen. »Wir wollen ja Thierse nicht vergraulen«, sagte der Neuköllner Kreisvorsitzende Frank Bielka zur taz. Vielmehr hätten sich die Anwesenden »einstimmig« für eine Kandidatur von Thierse für den Parteivorsitz ausgesprochen. hmt