Zur Zerstreuung

■ In Balingen: viel Monet, wenig Sinn

In der guten alten Zeit gehörten Kunst und Schönheit noch zusammen — glauben manche Kunsttheorien. Die impressionistische Malerei allerdings bildet eine augenschmeichelnde Ausnahme unter den Kunststilen ihrer Zeit. Deshalb ist es leicht erklärlich, daß der Impressionismus nachträglich und fälschlich zu einem Leitfossil der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts avancierte. Denn ihr Ideal, das sehende Sehen, konnte in der Publikumsgunst erst in diesem Jahrhundert dem interpretierenden Sehen (beispielsweise in der symbolistischen oder historistischen Malerei) den Rang ablaufen. Liebling im impressionistischen Dream-Team ist Claude „Magic“ Monet. Eine Ausstellung von Monets Werken kann gar nicht mißlingen, weil sie auf jeden Fall den Sinn fürs Schöne sättigt.

Die Schönheit von Monets Gemälden zeigt keine Risse. Vielleicht erklärt dieser Befund den Umstand, daß Monet in deutschen Museen zwar gern gesehen ist, ihm darüber hinaus bislang aber keine besondere Beachtung geschenkt wurde. Vielleicht befürchtete die kunsthistorische Zunft, geistig unterfordert zu sein von einem Opus, daß sich philosophisch oder geschichtlich schlecht erschließen läßt. Angesichts seiner Berühmtheit erstaunt es trotzdem, daß Claude Monet bislang in Deutschland keine größere Ausstellung gewidmet war. Daher interessiert es zu erfahren, wie diesem Mangel abgeholfen wurde.

Der Ort heißt Balingen, eine kleine Stadt auf der schwäbischen Alb. Die von Tübingen kommende Bimmelbahn umrundet auf dem Weg dorthin die Märchenburg Hohenzollern. Schon früher lockte der Ort mit hochkarätigen Kunstausstellungen: Marc Chagall und Pablo Picasso waren die Zuschauermagneten. Den Weg in diese Idylle finden Kunstwerke und das Publikum aufgrund der Privatinitiative eines Freiburger Romanistikdozenten, der sich seiner mittlerweile guten Beziehungen rühmt, ohne die viele Exponate nicht zu haben wären. Sein ausgeprägter Sinn für Nischen in der Kulturszene stieß ihn auf auf den Impressionisten. Der Publikumserfolg, meßbar an der Länge der Warteschlange vor der Kasse, scheint seinem Konzept Recht zu geben. Dreiunddreißig Werke sind nicht zu wenig, wenn die Ausstellung konzentriert zusammengestellt ist. Dies ist nicht der Fall, die Auswahl ist enttäuschend. Sie ergab sich aus dem Bemühen, möglichst jede Schaffensphase nach den Entwicklungsjahren mit wenigstens einem Bild zu repräsentieren. Nun hängt eine bunte Mischung aus der Wundertüte an einem Leporello mobiler Stellwände aus dem Messebau. Veranstaltungslokal ist die Stadthalle; deren Inneneinrichtung samt braun gebeizter Wandvertäfelung ist einer Anwaltskanzlei nicht unähnlich, und hat nichts von öffentlichem Raum. Die Staatsgalerie Stuttgart entlieh zwar, als einzige deutsche Sammlung, ein Gemälde aus ihrem Magazinbestand; anstatt einer schriftlichen Anfrage des Veranstalters entsprach das Haus aber einer direkten Intervention des Landesvaters Erwin Teufel. Nicht allein konservatorische Gründe verhinderten weitere Leihgaben. Zu durchsichtig entpuppt sich die Veranstaltung als aufwendige Fremdenverkehrswerbung. Deshalb wurden alle Möglichkeiten ausgelassen, die Monets Malerei mit anderen Kunstwerken vernetzen könnten. Von allen Arten der Kunstbetrachtung ist in Balingen nur die der Zerstreuung möglich, und sie allein rechtfertigt den Aufwand nicht. Am Verkaufsstand wird ein Monet-Kalender für 250 Mark angeboten. Geschmackvoll gerahmt, würden diese Kunstdrucke die Wände der Stadthalle vorteilhaft zieren.

Christoph Danelzik

Ausstellung Stadthalle Balingen: Claude Monet 1840-1926. Bis 31.8.1992. Katalog 48 DM