Iberoamerikanische Telegigantomanie

■ Das Fernsehprogramm „Cadena de las Americas“ soll im Kolumbusjahr die Kommunikation fördern

Kaum taucht bei einer medienträchtigen Menschenansammlung in der mexikanischen Hauptstadt ein Kamerateam mit dem rotgestreiften Sonnenemblem des Fernsehgiganten Televisa auf, gibt es Unruhe. „Televisa raus“ ist dann noch eine der harmloseren Aufforderungen. Ohnmächtiger Unmut angesichts der Übermacht des als Manipulationsmaschine verschrienen Medienriesen, der als der größte Fernsehproduzent der Welt gilt. Und es sind längst nicht nur die vier nationalen Fernsehkanäle — unter ihnen ECO, der 1938 gegründete erste 24-Stunden-Nachrichtensender des Kontinents —, die der Telegigant betreibt. Produziert, verkauft und exportiert in über 50 Länder der Welt wird fast alles, was sich medial verwerten läßt: am lukrativsten sind dabei nach wie vor die telenovelas, gefolgt von Radio-, Musik- und Filmproduktionen, Fernsehwerbung, Jugendzeitschriften, Kabelfernsehen, Synchronisationsfirmen und Videoverleihen bis hin zu eher fernsehfremden Investitionen in Fußballteams und Kunstmuseen. Der Präsident des Konzerns, Emilio Azcérrage gilt als einer der reichsten Männer Lateinamerikas.

Chac-Mool ziert den Geschäftsbericht

Den Geschäftsbericht von 1991, der allein für dieses Jahr eine Produktion von fast 20.000 überregionalen Fernsehstunden ausweist, ziert eine Maya-Statur, Chac-Mool, der Überbringer der Opfergaben an die Götter — oder auch: das erste Medium Lateinamerikas. In diese Tradition möchte sich der Konzern offensichtlich eingeordnet wissen: auf seine Initiative hin wurde die „Cadena de las Americas“ (Kette der Amerikaner), ins Leben gerufen, das bislang wohl gewaltigste Experiment medialer Integration der spanischsprachigen Welt. Unter dem Banner von Televisa haben sich 19 Länder zusammengeschlossen, um für sechs Monate ein Programm von insgesamt an die 7.000 Sendestunden zusammenzustellen. Es soll im Zeichen des Kolumbusjahres dem „Austausch und der Kommunikation Iberoamerikas“ dienen, die letzte Folge des „Cadena“-Programms wird am 12. Oktober, dem Tag der „Begegnung zweier Welten“, über die Bildschirme flimmern.

Bei näherer Betrachtung allerdings eine recht eigenwillige Definition des amerikanischen Kontinents: während das „Mutterland“ Spanien wie selbstverständlich dazugezählt wird, ist eine kleine widerspenstige Karibikinsel nicht mit von der Partie. Angeblich ein rein technisches Problem: da das kubanische Fernsehen aufgrund der Rationierung von elektrischen Kapazitäten nur vier bis fünf Stunden täglich über einen einzigen Kanal senden kann, erfüllt es die Bedingungen zur Teilnahme nicht — das „Cadena“-Programm muß vom Teilnehmerland vier Stunden am Tag ausgestrahlt werden, mindestens 20 Stunden in der Woche.

Ausschluß Kubas schlecht kaschiert

Nach den Worten des mexikanischen Medienexperten Javier Esteinom eine mehr als fadenscheinige Begründung: beim derzeitigen Stand technologischer Entwicklung, die doch gerade eines der Hauptargumente der Televisa-Initiative ist, seien technische Hindernisse „als absolut überwindbar anzusehen“. Vielmehr sei der Ausschluß Kubas eine schlecht kaschierte, wenn auch nicht sonderlich überraschende „Fortsetzung der US-Blockade-Politik mit anderen Mitteln“.

Fast alle der beteiligten nationalen Kanäle sind kommerzielle Privatsender, nur in Einzelfällen ist das jeweilige staatliche Fernsehen für Produktion und Ausstrahlung des kontinentalen Programmes verantwortlich. Jedes der 10 Länder speichert pro Woche mindestens eine Stunde Sendezeit in den Programmpool und sollte im Wochenprogramm aller Länder dann auch mindestens einmal vertreten sein. Abgerufen werden können die Sendungen über insgesamt neun für diesen Zweck unter Vertrag genommenen Satelliten — von denen vier in Televisa-Besitz sind. 45 Länder aus aller Welt rufen die Cadena-Signale ab: So kommt sowohl die Latino-Gemeinde in den USA in den Genuß der lateinamerikanischen Selbstdarstellung wie auch verschiedene europäische Länder, Japan, Teile des Mittleren Ostens und Nordafrika. Das bloße Empfangen der „Cadena“ ist unentgeltlich, die teilnehmenden Länder haben „lediglich“ ihre jeweiligen Kosten der Produktion, Kommerzialisierung und der Satelliten-Nutzung zu tragen.

In welcher Form und mit welchen Themen die Programme produziert werden, bleibt den Teilnehmern völlig freigestellt — „keine Zensur, keine gemeinsame Linie“. Wortgewaltiger Anspruch des TV-Konzerns ist die „interkontinentale Reflexion“ über „die Suche nach einer iberoamerikanischen Identität“.

Entsprechend breit gefächert ist das Angebot. Folkloristische Impressionen von Land und Gebräuchen wechseln sich ab mit sozial eingefärbten Reportagen, prähispanische Kulturen mit historischen Dokumenten. Der eindeutige Schwerpunkt liegt jedoch auf den schönen Künsten eines jeden Landes. Die Mischung ist oft schwindelerregend: Octavio Paz und Pablo Picasso, Mercedes Sosa und Julio Iglesias. Daneben vereinzelte Einsprengsel, die aus der bunten Fröhlichkeit herausragen: hier eine Reportage über Aids, da ein Porträt an die Pionierin des radikalen Feminismus in Mexiko, die Literatin Rosario Castellanos.

Die Logik der Programmgestaltung macht eine zentrale Zensur tatsächlich überflüssig: das Hauptinteresse der Teilnehmerländer, wie Javier Esteinom es ausdrückt, liegt „in der Kontrolle über das eigene Bild im Ausland“; unabhängige oder gar oppositionelle Stimmen und Ansichten haben darin kaum einen Platz.

Plattform für die Präsentation nach außen

Nicht alle Beiträge allerdings sind derart grotesk wie z.B. die aus Guatemala stammenden Sendungen, in denen das kleine, mehrheitlich von IndianerInnen bewohnte Land einen seltsam skandinavischen Anstrich bekommt: ausschließlich hellhäutige, blonde Menschen posieren vor der Weite und Schönheit guatemaltekischer Landschaft, fernab von Armut, Massakern und Repressionen.

Aber die „Cadena“ ist nicht nur Forum der gegenseitigen Selbstdarstellung der einzelnen Länder des Kontinents, sondern auch Plattform für die Präsentation Lateinamerikas nach außen. Wie immer man die Qualität des Produzierten bewerten mag, die Idee hat etwas Bestechendes: So erläutert der Televisa-Pressesprecher, daß die Fernsehverkettung auch ein „Versuch ist, aus dem Image Lateinamerikas als Kontinent der Armut und des Elends herauszutreten“; selbst auf die Gefahr hin, damit ein anderes Klischee — das der Farbe und der Fröhlichkeit — zu nähren.

Was besagter Pressesprecher auf Nachfrage nur vage andeutet — die mögliche Gründung eines lateinamerikanischen Fernsehkanals —, ist für den Medienforscher Esteinom der eigentliche Zweck des großangelegten Televisa-Projekts. Der Wissenschaftler, der sich mit dem Zusammenhang von Fernsehen und Neoliberalismus in Mexiko beschäftigt, ist davon überzeugt, daß „die 500-Jahres-Feiern eher willkommener Vorwand sind für die Tele-Integration, die sich in ihren folgenden Phasen andere Aufhänger suchen wird, so zum Beispiel die Jahrtausendwende“. Letztlich strebe Televisa in Kooperation mit potentiellen Partnern aus den technologisch fortgeschrittenen Fernsehländern wie Brasilien und Venezuela ein längerfristig angelegtes Gemeinschaftsunternehmen an, „selbstverständlich“ unter US-amerikanischer Beteiligung.

Allgemein kann die „Cadena de las Americas“ als Ausdruck der „Globalisierung von Kultur“ angesehen werden. Dabei erscheint ihr Anspruch, nationale Grenzen und Kapazitäten zu überschreiten, um eine „supranationale ideologische und kulturelle Realität“ zu schaffen, dem Medienwissenschaftler ambivalent: auf der einen Seite werde „die Verbreitung homogener und uniformierter Bilder und Kulturbotschaften“ gefördert, andererseits schafft die technologische Entwicklung eben auch weitaus größere Kontaktmöglichkeiten zwischen den Kulturen.

Showspektakel verschleiert den Blick

Der Ansatz an sich sei vielversprechend, da er zur Bildung eines „gemeinsamen Bewußtseins über tatsächlich übergreifende Problematiken wie Armut oder Ökologie“ beitragen könnte, auch wenn in den real existierenden Programmen das Showspektakel meist den Blick auf die weniger schillernden Gemeinsamkeiten des Kontinents verstellt.

In jedem Fall aber stellt die „Cadena“ einen weiteren Schritt in der „Internationalisierung von Televisa“ dar. Die Werbespots zumindest, die auf dem amerikanischen Kontinent alle paar Minuten erbarmungslos jede Sendung zerschneiden, machen auch vor interkontinentaler Reflexion nicht halt: Völkerverständigung hin, Kommunikation her — verbindender als prähispanisches Erbe und lateinamerikanische Kultur sind allemal Bacardi- Rum und Coca-Cola. Anne Huffschmid